Ungewöhnlich lange warten wir schon auf Huaweis neuestes Smartphone-Flaggschiff P50 Pro, und nun kommt die ehemalige Tochter-Marke Honor dem Riesen zuvor. Und die neue Honor-50-Serie greift sogar wieder auf Google-Dienste zu.
Honor 50 mit Google: Wie kann das sein?
Wir erinnern uns: Der damalige US-Präsident Donald Trump verhängte 2019 ein Embargo gegen Huawei. Sein Nachfolger Joe Biden hält bislang daran fest. Gegen das chinesische Huawei besteht der Verdacht, das Unternehmen könne seine Netzwerk-Technik dazu nutzen, um Nutzerdaten abzuschöpfen und an die chinesische Regierung zu übermitteln. Beweise für diese Vermutung gibt es bislang nicht.
Auch Honor war als Huawei-Tochtermarke von diesem Bann betroffen, der unter anderem zur Folge hat, dass Huawei die Technik von US-Unternehmen nicht mehr beziehen darf. Darunter fällt auch Google, Betreiber des kommerziellen Android-Betriebssystems und vor allem der Google-Dienste und des Play Store. Wichtige Software-Bausteine fehlen seitdem auf Huawei- und auch Honor-Smartphones. Das Nutzererlebnis leidet, auch wenn Huawei schnell mit der App Gallery und jüngst mit dem eigenen Betriebssystem Harmony OS reagierte.
Im Herbst 2020 verkaufte Huawei Honor offiziell an ein 30-köpfiges Konsortium. Das nun eigenständige Unternehmen vermeldete im Januar 2021 seinen Neustart. Es ist bisher nicht vom Bann durch die US-Regierung betroffen und darf eigene Smartphones auch wieder mit dem offiziellen Android und Google-Diensten ausstatten.
Wie eigenständig ist Honor seit dem Verkauf?
Etwa 100 Milliarden Yuan – nach heutigem Stand umgerechnet 13 Milliarden Euro – zahlte das neue Konsortium für Honor. Auch die Zentralregierung der Region Shenzhen in Südchina zählt dazu, in der sowohl Huawei als auch Honor ihren Firmensitz haben.
Nach der Meldung vom Januar 2021 beschäftigt Honor weiterhin 8.000 Mitarbeiter, von denen die Hälfte, also 4.000 Menschen, im Bereich Forschung und Entwicklung tätig sein sollen. Klingt gar nicht so wenig. Huawei zählte aber im Jahr 2019 alleine 200.000 Mitarbeiter insgesamt, wovon nach eigenen Angaben knapp die Hälfte im Bereich Forschung und Entwicklung tätig war.
Zum Vergleich zählt Konkurrent Oppo etwa 40.000 Mitarbeiter weltweit, Apple etwa 150.000. Das neue Honor ist also deutlich kleiner, wenn auch insgesamt nicht wirklich klein.
Und die Eigenständigkeit? Honors Produkte hatten in der Vergangenheit nicht zufällig meistens Ähnlichkeit mit denen von Huawei. Sie erschienen meist ein paar Monate später und waren allenfalls um einige kleine Eigenschaften reduziert.
Klar, Entwicklungszyklen dauern länger als ein paar Monate. Deswegen ähneln frühe Smartphones der neuen Honor-Marke schon ein wenig denen von Huawei. Mit nicht all zu viel Fantasie etwa weisen das Honor V40 Lite und das Huawei nova 8 Pro 4G gewisse Ähnlichkeiten auf. Dann aber wiederum nicht genug Gemeinsamkeiten, um von einer Kopie sprechen zu können.
Renderbilder des noch nicht veröffentlichten Huawei P50 Pro ähnelten dem des Honor 50 Pro recht stark. Aber das sind bis jetzt eben nur Render-Bilder eines Phones, das noch nicht veröffentlicht ist. Ähnlichkeiten könnt ihr, wenn ihr wollt, auch zwischen dem Fitnessarmband Honor Band 6 und dem Huawei Band 6 finden. Aber dann wiederum sehen fast alle aktuellen Fitnessarmbändern nun einmal so aus:
Also zusammengefasst: Honors erste Produkte seit dem Neustart wirken eigenständig genug, als dass die Unabhängigkeit von Huawei glaubhaft ist.
Honor 50, 50 Pro und 50 SE
Die neuen Flaggschiffe der Marke, Honor 50 Pro und Honor 50, klingen wie Modelle der oberen Mittelklasse. So setzt Honor bei beiden Geräten nur auf einen Snapdragon der 700er-Serie (778G 5G). Das Quadkamera-Set verfügt über 108-Megapixel-Technik und Pixel Binning. Auch eine Ultraweitwinkel- und eine Macro-Kamera sind drin. Die lösen aber mit 8 und 2 MP deutlich niedriger auf. Vierte Kamera im Bunde ist eine „Tiefenkamera“ mit 2 MP. Ein Zoom-Objektiv gibt es nicht.
Premium-Features finden Nutzer:innen in den beiden Geräten dennoch. So etwa die 66-Watt-Schnellladefunktion, die ihr mit einem passenden Ladegerät im 50 Pro sogar noch auf 100 Watt erhöhen könnt. Honor gibt für die Technik 90 Prozent Ladeleistung des 4.300 mAh starken Akkus in 20 Minuten an.
Die Displays bieten über 1 Milliarde Farben und den kompletten DCI-P3 Farbraum an – und 120-Hertz-Technik noch dazu. Honor vermarktet die Telefone als Vlogging-Smartphones. Dafür soll das starke Dual-Frontkamera-Set dienen, das mit 32 und 12 Megapixeln auflöst und das Nutzer:innen mit den rückwärtigen Kameras zusammenschalten können. Das Honor 50 Pro verwendet außerdem Graphen für eine bessere Wärmeableitung.
Das ebenfalls neue Honor 50 SE verzichtet unter anderem auf die Tiefenkamera und setzt auf einen MediaTek-Chip statt eines Snapdragons. Die drei Telefone sollen später im Jahr auch in Deutschland auf den Markt kommen. Die Preise für den chinesischen Markt liegen zwischen 480 und 300 Euro.
Unsere Einschätzung
Honor kann also tatsächlich auch ohne Huawei existieren. Und mit der Nutzung von Google-Diensten hat die neu gestartete Marke die Chance, in alte Fußstapfen zurückzukehren.
Allerdings haben wir es schon oft gesehen, dass einige Marken von den ganz großen, teuren Flaggschiffen plötzlich zurückschrecken – was nicht selten der Anfang vom Ende war. Wir hoffen natürlich, dass Honor dieses Schicksal erspart bleibt, aber leicht wird es die Marke ohne die frühere Konzernmutter Huawei im Rücken im Haifischbecken Smartphonemarkt nicht haben.
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