Je nach Aufnahmesituation werden viele Fotos erst schön, wenn eben nicht alles auf ihnen scharf abgebildet ist. Und bei dieser Unschärfe kommt es auf die Qualität an, japanisch und neudeutsch: Bokeh genannt. Ein feines Bokeh erzeugt ihr mit einer guten Kamera und einem ebenso hochwertigen Objektiv. Einfache Bokeh-Effekte könnt ihr allerdings auch mit jedem Smartphone erzielen. Dafür gibt es eine Handvoll Tricks.
1. Ganz nah ran und den Vordergrund fokussieren
Smartphones stellen von Natur aus fast alles scharf. Ihr habt aber eine hervorragende Möglichkeit, hier doch einen kleinen Unschärfeeffekt zu erzeugen: Ihr geht ganz nah ans Motiv ran. Die Kamera hat dann nur noch die Möglichkeit, auf diesen kleinen Punkt zu fokussieren und alles dahinter wird angenehm unscharf.
„Ganz nah“ heißt in diesem Falle aber auch: wirklich ganz nah. Wenige Zentimeter nur. Dann erhaltet ihr Fotos, die so aussehen wie das Titelbild oben, das ich mit einem Samsung Galaxy S10 geschossen habe, oder wie dieses Foto, aufgenommen mit dem iPhone X:
Der Effekt lässt sich aber nicht nur mit einem teuren Smartphone erzielen, es geht auch mit einem günstigeren Vertreter, wie dieses Bild des Motorola Moto G7 (hier unser Testbericht) zeigt:
Wobei ihr den Effekt mit einer Dual- oder Triplekamera mit Telekamera verstärken könnt. Eine solche haben das iPhone X (2x) und das Samsung Galaxy S10 (2x) eingebaut. Hier braucht ihr mitunter etwas, bis die Kamera den Vordergrund fokussiert hat, aber dann kommen wirklich hübsche Bilder bei heraus, bei denen der Hintergrund in angenehme Unschärfe taucht:
Mit einer weitwinkligen Smartphone-Kamera sind solche Bilder auch möglich, aber nicht ganz so einfach. Hat die Kamera keine Makro-Funktion, könnt ihr das Smartphone nicht beliebig nah ans Motiv heranführen. Die Kamera benötigt meist ein paar Zentimeter Abstand zum Vordergrund, um überhaupt darauf scharf stellen zu können.
Tipp: Hintergrund macht Bild gesund
In Abwandlung einer alten Fotografen-Weisheit macht bei Smartphone-Bokeh-Fotos nicht nur der Vordergrund, sondern vor allem der Hintergrund das Bild gesund. Zwar erscheint dieser unscharf; der Betrachter erkennt aber sehr wohl noch, was darauf ungefähr zu sehen ist. Achtet hier also darauf, dass ihr einen schönen Hintergrund wählt und dass dieser auch farblich passt. Euer Vordergrundmotiv sollte sich davon abheben.
2. Vordergrund unscharf, Hintergrund scharf
Das ganze Spielchen geht auch umgekehrt. Statt den Vordergrund scharf zu stellen, legt ihr die Schärfe auf den Hintergrund. So wie in diesem Bild, aufgenommen mit dem Samsung Galaxy S10. Auch das wirkt beim Betrachter angenehm:
Mit einer Spiegelreflex- oder Systemkamera und einem guten Objektiv, bei dem ihr die Schärfe vielleicht sogar manuell einstellen könnt, habt ihr weit mehr Möglichkeiten. Damit könnt ihr etwa nur den Mittelgrund scharf stellen, was mit einer Smartphone-Kamera sehr, sehr schwierig ist.
3. Kann ich Bokeh-Fotos auch nachts schießen? Ja klar!
Falls ihr euch fragt, ob ihr mit dem Smartphone auch nachts Bilder mit feinem Unschärfe-Effekt schießen könnt, lautet die Antwort: natürlich ja. Vordergrund und Hintergrund müssen nur erkennbar belichtet sein. Etwa so:
Wenn der Vordergrund dabei zu dunkel ist, dürft ihr ausnahmsweise auch zu einem wenig beliebten Hilfsmittel greifen: dem eingebauten Blitz. Der ist meist gerade mal stark genug dafür, wenige Meter im Vordergrund aufzuhellen – aber genau das reicht uns hier ja. Weil er dabei frontal auf das Motiv fällt, kommen nur selten wirklich brauchbare Bilder dabei zustande. Nutzt den Blitz also nur in Ausnahmefällen und nur bei Motiven, die das Licht nicht reflektieren können.
4. Porträtmodus, künstliche Intelligenz und Co.
Immer mehr moderne Smartphones setzen in ihren Kameras künstliche Intelligenz ein. Die Effekte reichen von einem Live-Fokus über einen Porträtmodus bis hin zu einer quasi-selektiven Unschärfe. Ganz selten gelingt es den Kamera-Systemen hier, ein schönes Bokeh zu erzeugen. Halbwegs gelungen ist es erstaunlicherweise bei diesem Porträtbild mit dem Moto G7:
Denn, richtig gelesen: Der Porträtmodus eignet sich keinesfalls nur für Personen-Porträts. Ihr könnt damit auch andere Motive herausstellen. Meist verlangt die Kamera sogar, dass ihr euch dabei ein gutes Stück vom Motiv entfernt. So habt ihr die Möglichkeit, ein schönes Bokeh auch mit weiter entfernten Objekten zu erzeugen.
Allerdings könnt ihr den Porträtmodus natürlich auch wunderbar für Porträts nutzen. Dieses Selbstporträt habe ich mit der Hauptkamera des iPhone X geschossen. Der Hintergrund versinkt dabei in angenehmer Unschärfe. Die Frontkamera hätte eine etwas schlechtere Qualität geboten.
Praktisch auch: Wenn die künstliche Intelligenz als Objekterkennung arbeitet und die erkannten Elemente hervorhebt, wie hier im Huawei P20 Pro:
Mit einer ToF-Kamera, wie sie der Nachfolger Huawei P30 Pro besitzt, wird in Zukunft noch mehr möglich sein. Diese Time of Flight-Kameras können Distanzen messen. Dann „wissen“ Kamera und künstliche Intelligenz, wie weit euer Motiv wirklich vom Hintergrund entfernt ist. Das erhöht die Chance auf bessere Tiefenschärfeeffekte enorm.
5. Spotfarbe, Abdunkeln: Eine Alternative zu Bokeh
Nicht immer muss es Bokeh sein, um ein Motiv herauszustellen. Das Samsung Galaxy S10 greift zum Beispiel auf einen Effekt namens „Farbpunkt“ zurück, der ein wenig an Spotfarbe erinnert. Die Kamera belässt die Farbe hierbei nur auf einem ausgewählten Teilbereich des Bilds, den Rest entsättigt sie. Was da passiert, fällt dem Betrachter erst auf den zweiten Blick auf, so wie hier:
Im Prinzip lassen sich beide Effekte auch kombinieren, aber da zeigt sich die Automatik im Galaxy S10 schon sehr störrisch.
Und noch eine Möglichkeit habt ihr, ein Motiv hervorzuheben, wenn ein Unschärfeeffekt nicht oder nur kaum möglich ist: Abdunkeln. Das geht besonders gut, wenn das Motiv in hellem Licht erstrahlt, vielleicht sogar selbst leuchtet. Ihr fokussiert dann auf diese Quelle und dunkelt das Bild insgesamt „gnadenlos“ ab. Entweder mit der Helligkeitssteuerung am Display oder über die Belichtungskorrektur im manuellen Modus der Kamera.
Möglich ist das bei Android-Geräten. Beim iPhone braucht ihr dafür derzeit noch eine App wie ProCamera. Oder ihr dunkelt das Bild nachträglich noch im Bearbeiten-Modus oder mit einer App wie Snapseed ab. Dazu mehr im nächsten Kapitel.
6. Selektive Unschärfe/Weichzeichner in der Nachbearbeitung
Fotografen, wie der neulich von uns interviewte Profi-Fotograf Stefan Finger, verbringen immer mehr Zeit mit der Nachbearbeitung am Rechner. Ihr dürft das also auch, sogar am Smartphone. Apps wie Snapseed erlauben es euch, einzelne Bereiche eines Bildes nachträglich zu schärfen, abzudunkeln oder weichzuzeichnen. Das habe ich mit diesem Bild einer Blume gemacht. Das Ergebnis ist ausbaufähig, aber eine klarere Unschärfe im Bild rechts klar zu erkennen:
In der kostenlosen App Snapseed heißt die Möglichkeit der nachträglichen Schärfeanpassung „Fokuseffekt“. Andere Apps nennen es „Weichzeichner“ oder auch „Unscharf maskieren“. Bei Snapseed könnt ihr hier einen Bereich des Bildes antippen und so einen Kreis ziehen, außerhalb dessen die App das Foto unscharf stellt.
Mit praktisch jeder dieser Apps könnt ihr auch die Belichtung nachträglich verändern, das Bild etwa noch aufhellen oder abdunkeln. Viele Smartphones bieten euch diese Optionen an, direkt nachdem ihr das Bild geschossen habt. Die hier verwendeten Galaxy S10 und iPhone X etwa haben einen Bearbeiten-Modus in der Bildergalerie gleich integriert.
Das Mittel der Nachbearbeitung ist legitim. Schöner und auch zeitsparender ist es aber, wenn ihr euch schon während der Aufnahme um einen schönen Bokeh-Effekt kümmert, so wie hier:
Fazit
Wir wollen hier gar nicht erneut den Vergleich Smartphone-Kamera vs. Vollformatkamera anstreben. Mit einer guten Kamera und einem guten Objektiv könnt ihr noch viel mehr in Richtung Schärfe/Unschärfe herausholen und vor allem: viel besser selber selektieren, was ihr scharf stellen wollt.
Und doch hat euch unsere kleine Anleitung vielleicht gezeigt, dass ein hübsches Bokeh auch mit einem Smartphone möglich ist, sogar ohne einen künstlichen Porträtmodus. Geht einfach nah ran! Etwas, was Profi-Lehrmeister ohnehin empfehlen. Viel Spaß beim Ausprobieren!
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Naja, viel geschrieben, aber WIE der Bokeh Effekt bei Smatphones funktioniert oder welche Technik dahinter steckt wird nicht beschrieben.
Na ja, in Ansätzen schon. Ganz tief in die Technik einsteigen wollten wir in diesem Beitrag nicht, wir wollten in erster Linie zeigen, wie es geht. Du hättest gerne mehr Details?
Wäre schon interessant zu lesen wie die Tiefeninformation bei Handys entsteht und dann zu dem Bokeh Effekt genutzt wird. Interessant ist auch dass zu jedem ‚Portrait’Bild eine Tiefenmaske mit in die JPG Datei gespeichert wird. Hätte erwartet sowas in dem Bricht zu lesen, und sich dass mal so eine Toefenmaske aus einem Prtraitbild gezeigt wird.
Gruß
Werner