EURONICS Trendblog: Herr Finger, könnten Sie sich vorstellen, zu Ihrem nächsten Fotoshooting nur mit einem Smartphone bewaffnet zu gehen?
Stefan Finger: Nein, auf gar keinen Fall. Das Smartphone nutze ich ab und zu mal, um die Familie zu fotografieren oder für Beweisfotos, wenn ich mal einen Unfall hatte. Aber Fotoaufträge: definitiv nicht. Allein, weil die Bildqualität überhaupt nicht ausreichend ist.
Aber warum eigentlich nicht? Smartphone-Kameras sind heute sehr lichtstark, wie auch das neue Samsung Galaxy S10. Die besten Modelle erzeugen ein ordentliches Bokeh, die Bilder sind detailreich, künstliche Intelligenz und Super HDR beseitigen die letzten Nachteile.
Smartphones haben nicht einen so großen Dynamikumfang wie Kameras. Es kann natürlich sein, dass mein Sohn mich in 20 oder 30 Jahren fragen wird: Warum wart ihr damals mit so komischen Dingern unterwegs, das macht doch alles ein Telefon? Aber Stand jetzt ist das für mich keine Alternative. Ich bin jemand, der einen Blick durch den Sucher braucht. Fotografieren ist für mich nicht nur ein Job, sondern auch eine Leidenschaft. Eine App zu öffnen und dort eine simulierte Blende zu verstellen, würde mir keinen Spaß machen.
Ich war kürzlich mit einer Vollformatkamera und einem Smartphone unterwegs und war überrascht, wie sehr das Smartphone mittlerweile aufgeholt hat.
In vielen Fällen ist es sicherlich so. Wenn ich im Urlaub bei tollem Licht unterwegs bin, und ich würde gleichzeitig mit einer Kamera und einem iPhone fotografieren, würde der Unterschied später auf Instagram oder Facebook wohl nicht sehr groß ausfallen. Etwas Anderes wäre es schon, wenn ich ins Bild reinzoomen oder es für ein Buch ausdrucken möchte. Aber es geht mir um mehr als das: Ich möchte beim Fotografieren sehen, was ich mache. Alles andere wäre für mich Knipsen.
Was unterscheidet für Sie denn Knipsen von Fotografieren? Was macht ein Profi anders als ein Amateur?
Es gibt viele Profis, die knipsen! Als ich damals für eine Lokalzeitung gearbeitet habe, hatte ich 15, 16 Termine am Tag und teilweise noch 40 Minuten Autofahrt dazwischen. Und obwohl ich mich als Fotograf gesehen habe, war das, was ich da gemacht habe, in meinen Augen Knipsen, weil ich gar keine Zeit zum Fotografieren hatte. Fotografieren ist, wenn man sich Zeit nimmt. Wenn man sich überlegt, was das eigentliche Motiv ausmacht.
Ich probiere unterschiedliche Distanzen, Blickwinkel, nehme das, was ich habe, und versuche es zu verbessern und zu erweitern. Ich mache bewusst Fotos. Wenn ich etwas mehr Zeit habe, kann ich überlegen, das Ganze noch aus einer anderen Perspektive aufzunehmen, vielleicht noch etwas in den Vordergrund zu holen oder eine Unschärfe mit reinzubringen, um das Bild spannender zu machen.
Sie selbst fotografieren hauptsächlich mit einer APS-C-Kamera. Ungewöhnlich für einen Fotoprofi.
Es wird tatsächlich immer gewöhnlicher. Ich habe damals die Fuji X-T1 in die Hand bekommen und war von der Qualität des Suchers überrascht. Dabei hatten wir die Kamera anfangs nur als Urlaubskamera dabei. Später sind wir auf die Philippinen geflogen, um an einer Reportage über die Auswirkungen des Sextourismus’ zu arbeiten. Und da war diese unauffällige Kamera ohne Auslösegeräusch unglaublich wichtig für das Projekt.
Im Fotojournalismus ist es wichtig, die Dinge zu fotografieren, wie sie sind, und sie nicht durch unsere Arbeit zu beeinflussen. Auf einer Fotoreportage oder einer Hochzeit möchte ich lieber als Hobbyfotograf gesehen werden, weil sich die Menschen sonst ganz anders verhalten.
Nach der Reportage auf den Philippinen haben wir vor den Bildern gesessen und teils nicht mehr gewusst, welche von der APS-C-Kamera kamen und welche von der Vollformat, die wir für einige Porträtaufnahmen benutzt hatten. Viel mehr als manch einer denkt, hängt von der Qualität der Objektive ab. Und: Mein Rücken dankt es mir, wenn ich nur mit der APS-C-Kamera unterwegs bin. Ich schleppe mich viel weniger ab.
Derweil scheint die Kamera-Branche gerade Vollformat-Systemkameras als neuen Heilsbringer für sich entdeckt zu haben. Können Sie sich erklären, warum gerade jetzt?
Es gibt keine Notwendigkeit mehr für Spiegelreflexkameras. Die Bildqualität von Systemkameras steht ihnen in nichts mehr nach und sie sind gleichzeitig kleiner und leichter. Und mittlerweile haben auch Nikon und Canon erkannt, dass die eigentliche Konkurrenz aus dem Smartphone erwächst. Gerade junge Eltern, die das Aufwachsen ihrer Kinder begleiten wollen, sind nicht mehr bereit, schwere Kameras mit sich herumzutragen, weil Smartphone-Kameras immer besser werden. Die Kamera-Hersteller spüren diesen Druck.
Wenn Sie nur einen Tipp geben könnten, wie Otto-Normal-Nutzer schönere Fotos machen, egal ob für Instagram oder den nächsten Urlaub, wie würde der lauten?
Auf jeden Fall fotografieren und nicht knipsen. Bilder bauen. Meine Studenten kommen von einem Projekt oft mit einem einzelnen Bild zu mir. Da frage ich: Wo sind denn die anderen Fotos dazu? Es geht nicht darum, von jeder Situation tausend Bilder zu machen. Aber es geht darum, eine Situation auch wirklich auszufotografieren, zu spielen und sich mit dem ersten geknipsten Foto nicht zufrieden zu geben.
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Stefan Finger, Jahrgang 1983, ist freier Fotojournalist, Hochzeitsfotograf und Lehrbeauftragter am Institute of Design Düsseldorf. Für sein Projekt “Wanna Have Love?” über die Auswirkungen des Sextourismus’ auf den Philippinen erhielt er 2014 zusammen mit seiner Partnerin Insa Hagemann unter anderem die Auszeichnung UNICEF-Foto des Jahres.
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