Huawei P60 Pro im Test: Weit gekommen, ohne Google

Das Huawei P60 Pro ist eins der besten Smartphones des Jahres. Ohne Google-Dienste dürfte es aber kaum jemand kaufen. Warum eigentlich nicht?

Huawei P60 Pro im Test: Weit gekommen, ohne Google
Huawei P60 Pro (Bild: Jürgen Vielmeier)

Vier Jahre nach dem Aus für Google-Apps und -Dienste auf Huawei-Phones denken die Chinesen gar nicht daran, klein beizugeben. Ganz im Gegenteil: Mit dem Spitzen-Smartphone Huawei P60 Pro präsentiert sich der einstige Marktführer mit breiter Brust. Das Phone hat die aktuell wohl beste Kamera auf dem Markt, Hardware und System setzen ganz eigene Akzente. Es leidet der Komfort durch fehlende Google-Dienste und die Abstinenz einiger bekannter Apps. Aber ist das eigentlich noch ein so großes Problem?

Inhalt:

Kamera: Die derzeit beste auf dem Markt

Huawei setzt im P60 Pro eine Triple-Kamera ein: Ultraweitwinkel, Hauptkamera und 3,5x-Telekamera mit optischem Zoom. Besonderer Leckerbissen ist die variable Blende der Hauptkamera, die vier physische Blendenstufen bietet: F1.4, F2.0, F2.8 und F4.0. Damit kannst du die einfallende Lichtmenge steuern, vor allem aber über einen eigenen Menübutton in der Kameraoberfläche die Schärfentiefe damit variieren.

Davon hast du eigentlich nur etwas, wenn du wenige Zentimeter nah ans Motiv herangehst. Dann lassen sich damit aber formidable Effekte erzielen (klicke auf die einzelnen Bilder und achte dabei vor allem auf die Hintergründe):

Die drei Kameras bieten tagsüber eine starke Qualität. Selbst der hybride 10x-Zoom bildet Details ohne merklichen Verlust ab:

Abends fallen die Qualitätsunterschiede schon deutlicher auf. Die beiden Zoomstufen büßen an Qualität ein, was am leicht verrauschten Hintergrund und dem dezent verwackelten Motiv auffällt, wenn wir auf die Heilgenfigur heranzoomen:

Dennoch: Das ist im Vergleich mindestens auf Augenhöhe mit Marktführer Samsung und dessen Galaxy S23 Ultra und in meinen Augen leicht vor dem Google Pixel 7 Pro.

Und dann gibt es noch den Nachtmodus. Der ist genauso hell wie der HDR-Normalmodus, zaubert aber noch etwas mehr Farbe ins Bild:

Wenn es wirklich dunkel und kaum noch etwas zu erkennen ist, trumpft die Kamera im P60 Pro noch einmal so richtig auf. Bei den folgenden Motiven war mit dem bloßen Auge schon nichts mehr zu erkennen. Die Kamera arbeitet aber trotzdem noch feine Farben und sogar Schriftzüge heraus:

Die Kamera des P60 Pro ist darüber hinaus schnell einsatzbereit und präsentierte sich als perfekte Urlaubs-Schnappschusskamera. Auch in Kombi mit einigen weiteren netten Spielereien wie dem Macromodus (im 3,5x-Objektiv), dem Porträtmodus oder einem Monochrombild:

Erfreulichen Kontrast und gute Farben liefert nebenbei auch die Frontkamera:

Selfie mit dem Huawei P60 Pro
Selfie mit dem Huawei P60 Pro

Auch Videos schießt das P60 Pro sehr anständige und erlaubt dank optischer Bildstabilisierung weiche Schwenks. Nur der Sound bei meinem Schnappschussvideo könnte besser. Was ich erzähle, hört ihr kaum, weil es vom Wind übertönt wird:

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EMUI 13.1: Lässt nur wenig vermissen

Auffällig: Huawei spricht in der europäischen Version des P60 Pro nicht mehr von Harmony OS 3.1 (wie in China) als Betriebssystem, sondern nur noch von der Oberfläche EMUI 13.1. Dabei handelt es sich um ein stark angepasstes quelloffenes Android 12 (AOSP) – aktuell wäre Android 13. Und Huawei tut eine Menge, um sich so gut wie keinen Rückschritt gegenüber der Konkurrenz von Google, aber auch Apple, Samsung und Xiaomi anmerken zu lassen.

EMUI 13.1 setzt nämlich auf eigene Animationen, ein eigenes Suchwidget mit eigener Suchmaschine (Petal Search), gruppierbare Service-Widgets – etwa um per Fingertipp nicht nur die Kamera zu starten, sondern direkt seine Macro-Funktion. Es gibt einen frei anpassbaren Startbildschirm mit eigenen Ordner-Größen, einen sehr schön animierten Always-on-Bildschirm, auf Wunsch einen geteilten Bildschirm für zwei Apps oder eine frei schwebende App auf dem Homescreen. Es gibt viele Designs, eine eigene Cloud mit 5 GB freiem Speicher, ein eigenes Bezahlsystem, einen Super Hub, um Inhalte verschiedener Apps in einer Ablage zu sammeln. Oder du erklärst dein P60 Pro zum Super Device, um mit weiteren Huawei-Geräten wie einem MateBook Bilder oder die Zwischenablage zu teilen (ähnlich wie Apple Handoff).

Und dann packt Huawei Bord-Apps auf das System, die Google-Dienste ein Stück weit vergessen lassen sollen. Sie sind teilweise von anderen Herstellern inspiriert, teils klug selbst erdacht. Etwa:

  • Sprachrekorder > für einfache Sprachaufnahmen, inklusive Stimmanpassung, hebt die Lautstärke bei Stimmen hervor.
  • Galerie > um Bilder anzusehen und auch schnell zu bearbeiten, etwa mit Filtern, Rauschreduzierung, Auto-Helligkeit – funktioniert gut.
  • Wetter-App > stündliche Übersicht, Daten von AccuWeather
  • Spiegel > um dich selbst hübsch zu machen
  • GameCenter > App-Store für Games
  • Memo > Notizen-App für Text, Bilder, To-Do-Listen, Zeichnungen – macht Spaß!
  • Dokumente > Mit MateBooks kompatible Alternative zu Google Docs/Workspace, erstaunlich mächtig
  • Huawei Health > Ähnlich wie Apple Health, mit Schrittzähler, Bewegungsringen, so genau das auf einem Smartphone eben geht
  • Sprachassistentin Celia > Vorhanden, aber nicht besonders gut, verstand mich leider oft falsch und kann nicht all zu viel.
  • Petal Clip > Richtig gute, einfache Videobearbeitung mit Auto-Videoerstellung, Schneidwerkzeug, Musik-Overlay und Nachvertonung
  • Huawei Video > Serien und Shows aus verschiedenen Quellen unterer Qualität
  • App Gallery > Alternative zum Google Play Store mit integrierter APK-Suche
  • Petal Maps > Google-Maps-Alternative mit Navi und Empfehlungen von Drittanbietern wie Tripadvisor und Foursquare, funktioniert außer für ÖPNV gar nicht schlecht. Witziges Feature: Es stehen personalisierte Sprecher:innen zur Verfügung, auch für Österreich und die Schweiz, die gegenüber der für Deutschland etwas anders klingen.

Alles in allem ist EMUI 13.1 ein erstaunlich rundes System, ohne nennenswerte Unstimmigkeiten und Mängel. Die Usability ist vergleichbar mit der von Apple, Samsung oder Google.

AppGallery: Auswahl okay, Installation abenteuerlich

Kommen wir zur interessantesten Eigenschaft des P60 Pro: der AppGallery und der Auswahl an Drittanbieter-Apps. Denn ohne Google-Dienste und damit auch ohne den Play Store und Play Services gestaltet sich die App-Suche nach wie vor etwas wirr.

Suchen kannst du jede App über die AppGallery. Darunter sind auch bekannte Titel wie GMX, Telegam, DB Navigator, Radio.de, Tinder oder BVG Tickets Berlin. Und sie sind erstaunlich schnell installiert. Bei den verifizierten Apps rast das P60 Pro hier nahezu.

Interessant wird es bei Titeln, die nicht offiziell in der AppGallery sind, die die Suche aber doch findet. Hier kommt die Petal Search zum Einsatz und aggregiert APK-Paketdateien aus verschiedensten Quellen. Das ist zwar nicht sonderlich schwer, aber für jeden Anbieter etwas anders – und läuft auf eigene Gefahr. Ich würde es als Quick-and-Dirty-Lösung bezeichnen.

Auf diese Weise installiert habe ich mir so etwa WhatsApp, Amazon Alexa, Booking.com, Fairtiq, Netflix, die PhotoTAN-App meiner Bank – hierbei war mir etwas mulmig zumute – Signal, WOW, Spotify – und Google Maps.

Und während die meisten Apps auch ganz normal zu funktionieren scheinen, ist das bei Google Maps leider nicht der Fall. Die App verlangt nach Google-Play-Services, die ich ihr natürlich nicht geben kann, und dann sucht die App für immer, ohne je etwas anzuzeigen:

Das Fehlen von Googles Apps und noch einiger wichtiger anderer Apps bleibt ein Nachteil – auch wenn sich viele Apps gut ersetzen lassen. Schleierhaft ist mir, warum Huawei sich mit Google offenbar weiterhin nicht einigen konnte oder durfte, derweil aber Microsoft als exklusiven Partner an Bord hat. Bing ist etwa fest in die Tastatur integriert, die Bing-App und Office vorinstalliert. Ebenso wie übrigens TikTok, Shein und Snapchat.

Aus meinem App-Kosmos außerdem gefunden habe ich Alexa, Feedly, Flinkster, Instagram, Zepp (für Amazfit-Watches wie die T-Rex 2), Daylio, FreeNow (als Quick-App ohne Installation), Joyn, Amazon Kindle, Strava, MyFritz, Photoshop Express, Post & DHL und Skyscanner.

GMail kannst du in die Mail-App integrieren, allerdings erscheinen die Mails dann nicht im gewohnten Design. YouTube integriert das System in Form einer Web-App.

Und leider gibt es natürlich auch einige Apps, die weder die AppGallery noch die Petal Search findet. Aus meinem App-Kosmos sind das etwa: Blinkist, Nothing X (für meine Nothing Ear 2), Codecheck, Fender Tune, ShareNow, Komoot, MeisterTask, Miles, Overcast, Tier, Apple TV, Untappd.

Du kannst dich damit trösten, dass es auch nicht alle iOS-Apps für Android gibt oder umgekehrt, und so ähnlich ist es bei EMUI eben auch. Für vieles gibt es gute Alternativen: Es muss zum Podcasthören zum Beispiel nicht zwingend Overcast sein oder zum Ukulelestimmen Fender Tune. Aber wenn der einzige verfügbare E-Scooter, der gerade vor dir steht, von Tier ist, dann hilft dir in dem Moment keine Bolt- oder Voi-App.

Hardware: Rund und gut

Das Huawei P60 Pro hat einen sehr angenehmen Formfaktor. 6,67-Zoll klingen zwar enorm für ein Display, aber die Bauart ist eher lang und schmal. Statt in Schwarz hat Huawei mir das Testgerät in der Farbe Rococo Pearl zur Verfügung gestellt. Wirklich hübsch und – wie Huawei selbst schreibt – ist jedes dieser Muster einzigartig.

Sehr hübsche Rückseite
Sehr hübsche Rückseite Rococo Pearl (Bild: Jürgen Vielmeier)

Die Rückseite ist dabei zwar glatt, aber trotzdem angenehm griffig. Das Kameramodul ragt um einige Millimeter aus dem Gehäuse. Die mitgelieferte, transparente Silikonhülle allerdings schließt gut mit dem Gerät ab. Huawei belässt es bei einer Ein-Aus-Taste und der Lauter-Leister-Wippe. Einen weiteren Button gibt es nicht, zum Glück auch nicht für die ohnehin nicht berauschende persönliche Assistentin Celia, die du über langen Druck der Ein-Aus-Taste startest.

Huawei verbaut Stereo-Lautsprecher mit einem angenehm lauten und basslastigen Klang. Das Mikrofon-System zeichnet Gespräche in ruhiger Umgebung nahezu rauschfrei auf:

Das Display lässt sich derart hell stellen, dass du auch im gleißenden Sonnenlicht noch problemlos etwas siehst. Das Display selbst spiegelt dabei kaum. Auch die leicht abgeschrägten Seiten des LTPO-OLED-Displays im Edge-Formfaktor spiegeln und stören dich kaum.

Die Farbwiedergabe des Displays ist klasse und auch die adaptive Helligkeit funktioniert einwandfrei.

Die Akkulaufzeit würde ich als solide bezeichnen. Vor allem mit dem eingeschalteten Always-on-Display (das ich auf keinen Fall missen möchte) ist das P60 Pro allerdings kein Akku-Wunder.

Schön: Huawei legt einen 88-Watt-Ladeplug ins Paket, der zwei Geräte gleichzeitig laden kann. Mir dennoch schleierhaft, warum Huawei beim Ladekabel immer noch auf USB-A setzt.
Schön: Huawei legt einen 88-Watt-Ladeplug ins Paket, der zwei Geräte gleichzeitig laden kann. (Bild: Jürgen Vielmeier)

Der PCMark-Benchmark Work 3.0 Battery Life ermittelt knapp 15 Stunden Laufzeit bei gemischter Nutzung, womit das P60 Pro im oberen Mittelfeld aktueller Smartphones rangierte und etwa leicht vor dem Samsung Galaxy S23+ oder S23 Ultra und einige Stunden vor dem Google Pixel 7 Pro (11:39h) läge.

Dass Huawei das 88-Watt-Netzteil dem Gerät gleich beilegt, ist toll. Auch, dass dieses USB-A und USB-C gleichermaßen beherrscht und damit auch zwei Geräte gleichzeitig laden kann. Allenfalls dass Huawei im Jahr 2023 überhaupt noch auf USB-A setzt, etwa im mitgelieferten Ladekabel, könnte man kritisch sehen.

Wiederaufgeladen ist der Akku übrigens in etwas über einer halben Stunde. Das ist zwar toll, aber da hätte ich fast mehr erwartet, zumal 0 bis 50 Prozent in 10 Minuten möglich sein sollen. Gemessen habe ich 19 bis 55 Prozent in 10 Minuten. Nach einer weiteren Viertelstunde hatten wir 99 Prozent erreicht. Um TurboPower zu zünden, sollst du bei eingestecktem Ladekabel übrigens kurz auf das Symbol auf dem Bildschirm tippen.

Und System und Reaktionszeit? Huawei verwendet den Snapdragon 8+ Gen 1, also den schnellsten Chip des Vorjahres. Dem System war keinerlei Trägheit anzumerken. Dass dem Gerät aus Lizenzgründen ein 5G-Modem fehlt, ist natürlich im Jahr 2023 schon ein Nachteil.

Fazit Huawei P60 Pro: So gut, wie es geht

Huawei muss sich mit dem P60 Pro vor keinem anderen Hersteller verstecken. Das Smartphone ist wunderschön, liegt bestens in der Hand, ist reaktionsschnell und bietet das aktuell beste Kamerasystem auf dem Markt. Der Lieferumfang mit Ladegerät und Silikonhülle ist erfreulich. Lautsprecher und Mikros sind ausgezeichnet, das Display bietet lebendige Farben und sanftes Scrollen mit augenfreundlichen 1-120 Hertz. Der Akku hält recht lange durch und ist schneller wieder aufgeladen als bei der Konkurrenz von Apple, Samsung oder Google.

EMUI 13.1 fühlt sich wie ein vollwertiges Betriebssystem mit vielen cleveren Tricks an. Auch viele Bord-Apps sind durchdacht, machen Spaß und ersetzen Google Workspace in Teilen. Dass weiterhin doch einige beliebte Apps nicht für das P60 Pro zur Verfügung stehen und der Installationsprozess weniger Komfort bietet als auf anderen Systemen, ist und bleibt allerdings der größte Nachteil des Huawei P60 Pro, einem ansonsten sehr guten Smartphone.

Unsere Bewertung
  • Starkes Gesamtsystem
  • Tolle Optik
  • Bunte, eigene Software-Welt mit guten Bord-Apps
  • Hervorragende Triple-Kamera
  • App-Auswahl löchrig, Installation mit fehlendem Komfort
  • Aus Lizenzgründen kein 5G

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