Auf manche Testgeräte lohnt es sich zu warten. Bereits vor Jahresfrist ging Canon mit der EOS R eine hohe Wette ein. Die erste Systemkamera des Branchenriesen mit Kleinbild-/Vollformatsensor soll über kurz oder lang das Erbe der Spiegelreflexkameras antreten.
Wuchtig für eine Systemkamera
Und so ist dann die EOS R zum einen als Standortbestimmung zu betrachten, zum anderen richtet sie sich an bisherige Spiegelreflexkamera-Nutzer, die es gewohnt sind, „was in der Hand zu haben“. Wer sich in den einschlägigen Foren umschaut, liest, dass so mancher Profi den kleineren Gehäusen der Systemkameras nicht traut. Für ihn muss es was Größeres sein.
Das dürfte die doch recht üppigen Maße der EOS R erklären. Immerhin 580 Gramm ohne Akku und Speicherkarte bringt das Gehäuse auf die Waage. Das im Set mitgelieferte RF-Objektiv 24-105mm f/4 wiegt noch einmal etwa das Gleiche. Mit gut 8cm Tiefe und fast 10cm Höhe ist die Kamera sogar noch etwas tiefer und kaum kleiner als das Schwestermodell EOS 5D Mark IV (mit Spiegel).
Kameras mit Vollformatsensoren im Vergleich
Kamera | Spiegel | Maße (B/H/T) | Gewicht ohne Akku, Speicherkarte und Objektiv |
---|---|---|---|
Canon EOS R | nein | 135,8 x 98,3 x 84,4 mm | 580g |
Canon EOS RP | nein | 132,5 × 85,0 × 70,0 mm | 440g |
Canon EOS 5D IV | ja | 150,7 x 116,4 x 75,9 mm | 800g |
Sony Alpha 99II | ja | 142,6 mm x 104,2 mm x 76,1 mm | ca. 749g |
Nikon D850 | ja | 124 x 146 x 78,5 mm | 915g |
Nikon Z7 | nein | 100,5 x 134 x 67,5 mm | 585g |
Sony Alpha 7R IV | nein | 128,9 mm x 96,4 mm x 77,5 mm | ca. 550g |
Sigma fp | nein | 112,6 × 69,9 × 45,3mm | 370g |
Gerade wer jahrelang mit einer eher voluminösen Spiegelreflex unterwegs war, dürfte sich bei der EOS R wie zu Hause fühlen. Und obwohl nicht viel kompakter: im Vergleich zur EOS 5D Mark IV ist die EOS R dann doch deutlich leichter, und sie schafft Serien mit 8 statt 7 Bildern pro Sekunde, um nur eine Eigenschaft zu nennen.
Ausstattung: Canon hat fast an alles gedacht
Die Bedienbarkeit lässt kaum etwas vermissen. Die EOS R verfügt über ein ausfahr- und nach vorne klappbares Schwenkdisplay mit Touchscreenfunktion, die ihr etwa zum Fokussieren verwenden könnt. Die Arbeit mit dem hochauflösenden Sucher machte aber fast noch mehr Spaß. Er zeigt Motiv und Einstellungen großflächig an und schmiegt sich angenehm ans Auge an. Zwei Schnellwahlräder, eine auf Wunsch beleuchtete LCD-Anzeige und eine neuartige Multifunktionsleiste sollen die Bedienung erleichtern. Der Einschub für (nur) eine Speicherkarte ist rechts, die für den Akku unten – allerdings weit genug vom Stativanschluss entfernt, dass ihr den Akku auch bei angeschraubtem Stativ noch wechseln könnt.
Links habt ihr Anschlüsse für eine Fernauslöser, einen Kopfhörer und ein Mikrofon (3,5mm), ihr habt einen HDMI-Ausgang und einen USB-Anschluss für Datenübertragung oder zum Aufladen des Akkus.
Abzüge in der B-Note gibt es für den nicht ausschaltbaren Sucher, mit dessen Sensor ich beim Display-Betrieb immer wieder ins Gehege kam. Der links neben dem Sucher untergebrachte Menü-Knopf, der innerhalb des Menüs auch als Zurück-Taste dient, ist an der Stelle ungünstig angebracht. Weil sich viele Befehle unten rechts mit der OK-Taste bestätigen lassen, ist es kaum möglich, mit nur einer Hand durchs ohnehin etwas unübersichtliche Menü zu navigieren.
Fast alles könnt ihr an der Kamera anpassen. Dazu hilft euch das 644 (!) Seiten starke PDF-Handbuch in Canons Downloadbereich.
Toller neuer Fv-Modus
Mit der Multifunktionsleiste wurde ich während meines Tests nicht warm, aber das ist vielleicht nur eine Frage der Zeit. Profis könnten monieren, dass es nur 1 Karteneinschub gibt – für mich war das kein Problem. Nicht ideal gelöst ist, dass ihr den Akku zwar per USB-C-Kabel direkt in der Kamera laden, ihr diese während des Ladevorgangs aber nicht benutzen könnt. Das Quick-Set-Menü erreicht ihr über den prominent platzierten Q-Set-Button. Das Menü fand ich im Vergleich etwa zur neulich getesteten Fujifilm X-T30 aber eher wenig übersichtlich.
Im ersten Moment fehlte mir ein drittes Schnellwahlrad für den ISO-Wert. Ich vermisste dies aber nur so lange, bis ich den fantastischen neuen Fv-Modus entdeckte. Hier schaltet ihr mit dem ersten Wahlrad zwischen den drei wichtigsten Messgrößen hin und her (Blende, Verschlusszeit, ISO) und verändert mit dem zweiten Rädchen ihren Wert. Die Funktion ist derart intuitiv, dass ich sie kaum noch missen möchte.
Die Arbeit mit der Camera-Connect-App auf dem iPhone hat mäßig Spaß gemacht. Die Einrichtung ist verwirrend. Da wähle ich Bluetooth-Verbindung aus und erhalte Informationen darüber, wie ich beide Geräte via WLAN kopple. Einmal eingerichtet, dauert das Neu-Verbinden zwischen iPhone und Kamera noch etwa 20 Sekunden und bedarf einer Bestätigung.
Dann kann ich das Smartphone als Fernbedienung benutzen oder über die App in Galerieform auf die Bilder der Kamera zugreifen. Was mir hier leider nicht gelang: Die Bilder direkt über die Galerie an eine „soziale“ App wie WhatsApp oder Instagram weiterzuleiten. Das wäre praktisch gewesen, scheint aber nicht vorgesehen.
Photowalk mit der Canon EOS R
Schöne Bilder macht die EOS R natürlich auch noch. Der Autofokus ist so schnell, wie Canon ihn bewirbt, auch bei nur noch wenig Licht. Gut ausgeleuchtete Bilder sind auch in den Ecken scharf und zahlreiche Details erkennbar.
Einige weitere Bilder mit Auffälligkeiten:
Weitere Beispielbilder:
Fazit
Die Canon EOS R ist ein hervorragende Profikamera, die in ihrem Funktionsumfang nur wenig vermissen lässt und bei der Bildqualität keine Kompromisse eingeht. Ein schneller Autofokus unterstützt das Vergnügen, das neue LCD-Dialogfeld ist höchst angenehm zu benutzen, der neue Fv-Modus macht Einstellungen der wichtigsten Messgrößen zum Kinderspiel. Ein paar Punkte verspielt Canon bei der zweihändigen Menüführung, dem oft versehentlich umschaltenden Objektivsensor und der wenig intuitiven Multifunktionsleiste.
Die doch recht üppigen Maße für eine spiegellose Systemkamera machen die EOS R mehr zu einer Indoor- oder Studiokamera denn zu einer Straßenkamera. Für letzteres Szenario hat Canon denn auch die deutlich leichtere und funktionell leicht abgespeckte EOS RP im Angebot. Ging es Canon darum, das Vertrauen seiner Gemeinde zu erhalten, die bislang mit einer Spiegelreflexkamera geknipst hat, dann dürfte die Rechnung voll aufgehen.
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Eigentlich wollte ich einen (sachlichen) Kommentar schreiben – aber so´ne Systemkamera für Profis mit dem Smartphone (egal welchem) zu bedienen…Als ich das gelesen habe, da wußte ich:
– Herr Jürgen (Vielmeier) und ich haben da so unterschiedliche Ansichten, die sind nicht vereinbar…
– …sie müssen nebeneinander stehen bleiben
Eines haben wir aber doch gemeinsam: auf meiner Türklingel steht „Jürgen“ als Vorname – der „Künstlername“ Herr Hugo ist eher für Internet-iges, Bekannte können mich aber auch so nennen – solange sie kein Selfie mit mir und sich machen wollen, dürfen sie auch Bekannte bleiben, grins.
Ja, ein netter und subjektiver Eindruck der EOS R. Gern möchte ich einige Anmerkungen machen:
Im Einstellungsregister 4 kann man unter Anz.-Einstell. zwischen der manuellen und automatischen Sucher-Bildschirm-Anzeige umschalten (Handbuch S. 403). Ich hab das af manuell und Bildschirm stehen. Klappe ich aber den Bildschirm mit der Displayseite zur Kamera an, so geht der Sucher dann trotzdem an. Man kann auch manuell einstellen und sich die Umschaltung zwischen Sucher und Bildschirm auf einen Knopf legen.
Das Einstellrad für ISO ist das Rad am Objektiv oder am EF-Adapter mit Einstellrad. Alternativ kann auch die MFn-Bar dafür benutzt werden. Klar, beim genialen FN braucht man das eigentlich nicht mehr. Da habe ich mir die Belichtungskorrektur auf das Objektivrad gelegt. Die Touchbar nutze ich nur bei Video, aber da ist sie genial, da man Einstellungen vornehmen kann, ohne Druck auszuüben.
Die Kamera kann viel und daher gibt es viele Einstellmöglichkeiten im Menü. Das mag unübersichtlich auf enige Menschen wirken. Da empfehle ich, sich ein oder mehrere MyMenu-Register zu definieren bzw. sich die Einstellungen unter C1-C3 (2x einmal Foto, einmal Video verfügbar) zu legen.
Ich bin gern mit der EOS R unterwegs. Viele Verbesserungen (Fv, besserer IS, usw.) machen mir das Fotografenleben leichter 🙂