„Mensch, eine Schwalbe! Und die fährt jetzt elektrisch?!“
Ich bin noch nicht einmal zur Jungfernfahrt damit aufgebrochen, da haben mich schon die ersten Passanten auf die E-Schwalbe angesprochen. Und das wird im Laufe meines Tests so weiter gehen. Eins steht offenbar von Anfang an fest: Eine Schwalbe sorgt auch heute noch für Aufmerksamkeit und weckt bei vielen wohlige Erinnerungen.
Govecs E-Schwalbe: Akkus nicht herausnehmbar
Dabei solltet ihr wissen, dass die neue, elektrifizierte Schwalbe kein Schnäppchen ist. Je nach Ausstattung und Reichweite werden für die von mir getestete 45-km/h-Variante mindestens 5.500 Euro fällig, in bester Ausstattung mit Zweitakku gar über 7.000 Euro. Preise, für die ihr euch schon einen ganz ordentlichen Gebrauchtwagen kaufen könntet. Dafür bekommt ihr in der Tat das derzeit bestmögliche für euer Geld. Bis zum Ende meines Tests habe ich als gelernter Erbsenzähler beim Testen technischer Geräte keinen wesentlichen Kritikpunkt gefunden.
Allenfalls diesen einen: Ihr könnt die Akkus der E-Schwalbe nicht herausnehmen. Govecs hat sie fest im Gehäuse installiert und das 5 Meter lange Teleskop-Ladekabel mitsamt Schuco-Stecker gleich unter der Sitzbank fest montiert. Andere bekannte E-Roller-Marken wie Kumpan, Unu oder Niu lassen euch die Akkus für gewöhnlich herausnehmen und an einem Ort eurer Wahl laden.
Ich hatte aber eigentlich erwartet, dass mich das als Bewohner eines Mehrparteienhauses in der Innenstadt vor größere Probleme stellen würde. Ohne Möglichkeit, die E-Schwalbe bei mir zu Hause zu laden, begab ich mich schon vorab auf die Suche nach öffentlichen Ladesäulen und wurde schnell fündig.
Tatsächlich halten einige Ladestationen meines örtlichen Versorgers in Bonn eigene Steckdosen extra für E-Mopeds vor. In Düsseldorf fand ich schon deutlich weniger. Es hängt von Ort zu Ort ab – besser ihr checkt das mit Apps wie Chargemap oder Ladenetz.de schon vor dem Kauf. In einem früheren Beitrag haben wir euch noch ein paar Tipps mehr gegeben, wie ihr die nächste Ladesäule findet. In vielen Fällen benötigt ihr eine Ladekarte, um ein Terminal zu nutzen.
Einmal lud ich die E-Schwalbe in der Nähe eines Cafés, einmal für 3-4 Stunden vor einem Baumarkt in der Nähe. Erfreulicherweise war das Laden hier nach Registrierung per App sogar kostenlos.
Der Schnelllademodus schafft in der Spitze 1200 Watt. Reell sind es gerade an öffentlichen Ladesäulen aber natürlich meist weniger. Govecs gibt 5 Stunden an, um die 4,8-Wh-Akkus zu laden.
Mit zwei Akkus manchmal deutlich über 100 km
Mir kam die Reichweite der E-Schwalbe allerdings phänomenal vor. Ob es vielleicht sogar daran liegt, dass die zwei 2.400-Wh-Akkus fest verbaut sind? Hersteller Govecs schreibt auf der eigenen Website gar, dass die maximale Reichweite von 134 km nach World Motocycle Test Cycle (WMTC) gemessen wurde und realistisch eher von bis zu 100 km auszugehen sei. Das nenne ich transparent! In der Realität waren es in meinen Tests zumindest auf gerader Strecke bei wenig Wind im energiesparenden Go-Modus aber mehr: um die 120 km.
Auf einer Fahrt von Bonn nach Düsseldorf allerdings schmolz die Reichweite bei starkem Gegenwind schnell dahin. Inklusive einigen Umwegen betrug die gefahrene Strecke am Schluss etwa 85 km, und ich kam praktisch erst auf letzter Rille am Ziel an. Auf dem Rückweg hatte sich der Wind gedreht, war nun aber deutlich schwächer. Die Schwalbe schaffte mit einer vollen Akkuladung hier 105 km.
Die insgesamt hohe Reichweite ist beinahe etwas überraschend, da die E-Schwalbe ein wahres Ungetüm ist. Breit und tief, wuchtig fast wie ein großes Motorrad. Und mit einem stolzen Kampfgewicht von 135 kg bei zwei Akkus an Bord kaum leichter.
„Biest“-Modus
Weil Govecs aber die maximal möglichen 4 KW in dieser Leistungsklasse voll ausreizt, hält euch dieses Gewicht auch beim Fahren nicht auf. An der Ampel zieht die E-Schwalbe im Boost-Modus los, wie von der Tarantel gestochen. „Biest-Modus“ wäre fast treffender. Ihr müsst euch beeilen, den Fuß beim Anfahren wieder rechtzeitig vom Asphalt zu nehmen, sonst bleibt der dort stehen.
In stolzen 5 Sekunden beschleunigt das Moped in diesem Modus von 0 auf 45 km/h. Da hält an der Ampel kein anderes Fahrzeug mit – ich habe es ausprobiert… Selbst der ebenfalls recht rasant anfahrende Konkurrent Kumpan 1954 RI brauchte in meinem Test einen kleinen Ticken länger.
Möglich machen es die Bosch Drive Unit 48 V und der verbaute Doppelriemenantrieb, die die E-Schwalbe auch im leicht reduzierten Cruise-Modus schnell auf die gewünschte Geschwindigkeit bringt. Der energiesparende Go-Modus (2,2 KW) lässt sich dafür zwar merklich länger Zeit, aber bringt dafür im Vergleich zum Boost-Modus noch einmal fast 50 Prozent mehr Reichweite mit, bei kaum weniger Komfort.
Fahren mit der E-Schwalbe macht Spaß
Die E-Schwalbe präsentiert sich auf der Straße als wendig. Der tiefe Schwerpunkt macht das Fahrzeug gut kontrollierbar. Die Lenkung ist leichtgängig, die Heidenau Allwetter-Reifen halten sicher. Nasses Kopfsteinpflaster – mit etwas mehr Vorsicht befahren – stellen das Gefährt vor keine Probleme.
Als sehr angenehm empfand ich auch den Sound, den die E-Schwalbe während der Fahrt macht. Sind Elektromopeds per se eigentlich so gut wie still, surrt die Schwalbe für Fahrer:in und andere Verkehrsteilnehmer:innen hörbar auf. Keinesfalls störend übrigens, sogar eigentlich sehr angenehm – auf jeden Fall so, dass andere Verkehrsteilnehmer:innen von der Schwalbe nicht überrascht werden.
Die Füße stehen gut und sicher auf der Ablage. Durch den Windschutz dafür verkühlt ihr euch auch die Beine nicht und werdet bei nasser Fahrbahn von vorne nicht nass.
Display: Übersichtlich, könnte aber heller sein
Das CBS (Combined Brakes System) mit Scheibenbremsen arbeitet zuverlässig und bringt die Schwalbe schnell zum Stillstand. Das Display hätte für meinen Geschmack gerne noch einen Tacken heller sein dürfen, lässt sich aber insgesamt auch bei gleißendem Sonnenlicht noch zufriedenstellend ablesen:
Große Einstellmöglichkeiten habt ihr hier während der Fahrt übrigens nicht. Ihr könnt immerhin zwischen den drei Modi hin- und herschalten. Das ist auch durchaus sinnvoll, wenn ihr etwa hauptsächlich im Go-Modus fahren wollt, bei einer Steigung oder für eine schnelle Anfahrt aber lieber kurzzeitig in den Cruise- oder Boost-Modus wechseln wollt.
Und dann gibt es noch den Modus „Crawl“, der euch dabei hilft, mit der E-Schwalbe bei leichter Motorunterstützung ein- oder auszuparken. Das habe ich tatsächlich mehrfach gemacht. Das hohe Gewicht der Schwalbe ist in Ruhe sonst gar nicht so leicht zu bändigen.
Einige weitere Einstellungen könnt ihr im Menü vornehmen, etwa das Einstellen der Uhrzeit oder die Wahl zwischen km/h oder mph. Im Einstellungsmenü könnt ihr auch euer Smartphone mit dem Gerät koppeln und dann die Bosch uDrive-App nutzen. Die kann euch etwa bei einem zu geringen Ladestand oder einer Unterbrechung des Aufladens warnen. Sie speichert zudem die Restlaufzeit, damit ihr euch diese nicht merken müsst.
Auf tiefer gehende Einstellungen müsst ihr dafür verzichten. So hätte ich gerne noch die – erfreulicherweise eingebaute – Energierückgewinnung (Rekuperation) etwas höher gestellt. Das ist laut Govecs allerdings nicht möglich.
Govecs E-Schwalbe: Kleine Nachteile
Wenn ich bis auf die fest eingebauten Akkus etwas an der E-Schwalbe kritisieren müsste, dann eher Kleinigkeiten. Mit den Seitenspiegeln hatte ich bis zuletzt Schwierigkeiten, sie passend einzustellen. Die Halterungen lösten sich ein wenig und ließen sich ohne Werkzeug nicht dahin manövrieren, wo ich die Spiegelwippen gut von Hand hätte justieren können.
Trotz der enormen Maße hat Govecs wenig Stauraum gelassen. Unter der Sitzbank teilt ihr euch die 5 Liter noch mit dem Ladekabel. Das reicht nur für kleine Gegenstände. Auch die USB-Ladebuchse befindet sich unter dem Sitz und ist damit für meinen Geschmack etwas deplatziert. Schön immerhin, dass es die Möglichkeit zum Aufladen eines Smartphones gibt – auch wenn sie nur bei eingeschaltetem Motor lädt.
Auch die Sitzbankarretierung macht nicht den allersichersten Eindruck. Ich konnte sie mit etwas Kraft nach oben biegen und dann auch zumindest einen Finger breit ins Innenfach greifen. Wer es darauf abgesehen hat, dürfte das Innenfach relativ leicht aufstemmen können.
Ihr braucht Kraft
Der Seitenständer hält die Govecs E-Schwalbe schon stabil, sie neigt sich dann allerdings auch recht stark zur Seite. Der (optionale) Hauptständer wiederum hält die Schwalbe bombenfest. Ich hatte etwas Mühe, die Schwalbe auf den Ständer aufzubocken – zumal ich statt am linken Lenker und dem Metallgriff intuitiv lieber links und rechts am Lenker gezogen habe. Dazu ist natürlich nicht zu raten, da ihr damit schlimmstenfalls noch einmal das Handpedal auslöst.
Die Schwalbe so aufzubocken verlangt einiges an Kraft und Übung. Schön ist dafür, dass die Schwalbe auch einen kleinen Gepäckträger hat, auf dem ihr einen kleinen Rucksack bis 5 kg unterbringen könnt.
Den Vergleich mit dem anderen von uns getesteten Retro-Moped Kumpan 1954 RI (oder dem Nachfolger 54i:conic) gewinnt die E-Schwalbe mit knappem Vorsprung. Sie beschleunigt noch etwas dynamischer, hat die noch bessere Straßenlage und die zuverlässigere Reichweitenangabe. Das Gesamtprodukt ist insgesamt etwas stimmiger. Eine hohe Gesamtleistung und ein sehr schickes Aussehen haben aber beide.
Fazit: Govecs E-Schwalbe
Zum hohen Preis macht Govecs hier fast alles richtig: Die E-Schwalbe ist das aktuell wohl beste E-Moped bis 45 km/h auf dem Markt. Es ist bestens ausgestattet, beschleunigt so schnell, dass ihr kaum gucken könnt, und auch die Reichweite mit 2 Akkus ist enorm – bei zuverlässiger Reichweitenangabe. Einziges echtes Manko dürften die nicht herausnehmbaren Akkus sein. Ihr seid also auf eine zugängliche Steckdose oder öffentliche Ladesäulen angewiesen.
Welch ein Hingucker!
Während meines Tests kam ich mit rund einem Dutzend Passanten ins Gespräch – wäre das ein Wettbewerb, dann hätte Govecs auch den gewonnen. Menschen drehten sich auf der Straße um. Ein kleines Mädchen wollte sich von seinem Vater davor fotografieren lassen. Ein Radfahrer, der neben mir an der Ampel hielt, berichtete von seiner Original DDR-Simson-Schwalbe von 1969. Ein Bekannter aus der Nachbarschaft kam gleich zweimal auf mich zu und sagte am Ende, er überlege jetzt ernsthaft, sich auch eine zu kaufen.
Es kann an der auffälligen Farbe Sonnenorange liegen, die Govecs für mein Testgerät ausgesucht hat. Oder einfach daran, dass das ikonische Design bei vielen Leuten nostalgische Gefühle weckt. Nicht nur in der DDR haben die Menschen auf einer Schwalbe viele Abenteuer erlebt. Govecs könnte mit einem Wiederaufleben der Marke und dem nun deutlich umweltfreundlicheren Motor ein echter Coup gelungen sein.
Jetzt kommentieren!
Wie hoch ist die Förderung?
Für ein Elektromoped gibt es keine staatliche Förderung, fürchte ich.
Ach so, halt, jetzt sehe ich, was du meinst. Govecs selbst zahlt aktuell eine „Umweltprämie“ in Höhe von bis zu 1.600 Euro bei der 45 km/h-Schwalbe und bis zu 1.000 Euro für die 90-km/h-Variante. Warum „bis zu“ und wie viel am Ende wirklich, weiß ich nicht. Müsstest du mal bei Govecs nachfragen.
In Thüringen werden nur Lastenräder gefördert. Deshalb gehört das Land zu den Nehmer-Ländern.