Smartphone statt Laptop: Ein Selbstversuch

Texte schreiben und redigieren, Fahrtenbücher füllen, an Telkos teilnehmen. 1 Woche nur mit dem Smartphone zu arbeiten, sorgt gleichermaßen für Frust und Erhellung.

Smartphone statt Laptop: Ein Selbstversuch

„Zu wenig Strom“. Als ich versuche, das Titelbild für diesen Beitrag mit einem Adapter von meiner Kamera auf das iPhone zu übertragen, schlägt gleich der erste Versuch fehl. Und zwingt mich ein wenig herumzutüfteln: Ich verbinde beide Geräte kabellos per App – was immerhin beim dritten Versuch gelingt – und schnurstracks ist das Bild übertragen. So wie bei diesem kleinen Beispiel läuft es die ganze Woche über in meinem Versuch, den Laptop im Schrank liegen zu lassen und nur mit dem Smartphone zu arbeiten. Am Ende klappt fast alles, aber ich muss viel improvisieren.

Die Speicherkarte über einen Adapter anzuschließen, funktioniert nicht. Einfach zu kompliziert gedacht.

Die Idee dazu kommt mir jüngst im Urlaub. Ich mache ohnehin schon das meiste mit dem Smartphone – E-Mails, Feeds und Bücher lesen, Fotografieren. Im Urlaub fülle ich auch mein Privatblog vom Campingplatz aus mit Bildern oder beantwortete ein paar dringende Arbeitsmails in der Supermarktschlange. Könnte ich nicht gleich ganz mit dem iPhone arbeiten? Zumindest eine Woche lang?

Audiofazit: 1 Woche Smartphone statt Laptop

Und wie das so ist mit verrückten Ideen: Am besten, man fackelt nicht lange. Gleich am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub lege ich los. Die erste Stunde verbringe ich damit, die notwendigen Apps zu installieren, mich in der ungewohnten Arbeitsungebung zurecht zu finden und, wie oben beschrieben, schon einmal ein Foto hochzuladen.

Bilder von einer recht alten Canon-Kamera zu übertragen, geht am besten kabellos.

Obwohl das anfangs voll aufgeladene iPhone 12 Pro Max die ganze Zeit eingeschaltet ist und das Display etwa auf mittlerer Helligkeitsstufe steht, ist der Akkustand bis zum Mittag auf gerade Mal 80 Prozent abgesunken. Die erste positive Überraschung.

Das Setup: Viele, viele Browser

Mein Setup ist zu dieser Stunde noch nicht ausgereift. Zum Schluss meines Tests wird es aber so aussehen:

  • WordPress im mobilen Safari-Browser als Alternative zur fehleranfälligen WordPress-App für iOS.
  • Unser Backend als Shortcut auf dem Homescreen
  • Zweit-Browser für Recherche – das ist einfacher, als zwischen Safari-Browser-Fenstern zu wechseln. Ich lande letztendlich bei Firefox und – wer hätte das gedacht – Microsoft Edge.
  • Desktop-Browser Zoomable (meine Rettung, wie sich später herausstellt)
  • GMail und Apple Mail für E-Mails
  • Google-Kalender-App für den Redaktionskalender
  • MeisterTask-App für unser Redaktions-Kanban-System
  • iPhone-Kamera und Fotos-App für einfache Bildbearbeitung
  • Feedly für den Nachrichtenstrom
  • Spotify, um hin und wieder etwas Musik im Hintergrund laufen zu lassen
  • Google Drive und Spreadsheets für Office-Aufgaben
  • Mein Weapon of Choice: das iPhone 12 Pro Max, das zum Zeitpunkt des Tests größte iPhone auf dem Markt
  • Boya-Ansteckmikrofon für besseren Klang bei Videos

Gleich am ersten Tag zeigt sich: Um Arbeits-E-Mails zu schreiben, brauche ich kein Stück länger. Natürlich kann ich auf dem MacBook schneller tippen, dafür fasse ich mich auf dem iPhone von Anfang an kürzer.

Das iPhone als einziges Arbeitsgerät. Wozu dann noch ein Schreibtisch?

Lange Texte sind kein Problem

Den Text dieses Beitrags tippe ich erstaunlich leicht herunter. Die Autokorrektur hilft bei längeren Texten tatsächlich mehr, als dass sie stört. Es genügt, die notwendigen Tasten nur ungefähr richtig zu treffen. Schreibe ich „richtig“ etwa als „ricjtig“, weiß die Autokorrektur direkt, was gemeint ist. Sie gleicht die langsamere Tippgeschwindigkeit gegenüber einer Dektop-Tastatur zu einem Großteil aus. Und so kommt auch schnell so etwas wie Schreibfluss auf.

Nach einem halben Arbeitstag bin ich überrascht: Es hat alles Gewünschte funktioniert und dabei höchstens unwesentlich länger gedauert als auf dem MacBook.

Schikane: Beim Eingeben eines Teasers scrollt das Bild nicht weiter, die Tastatur verdeckt das Textfeld. Ich muss blind (oder woanders) schreiben.

Tag 1: Aha-Erlebnisse in Serie

Gleichzeitig fühlen sich meine Finger etwas aufgescheucht an, mein rechter kleiner Finger, der das iPhone festhält, schmerzt ein wenig. Und zieht es da etwa ein wenig im Nacken? Die Ergonomie des Ganzen ist natürlich nicht ideal. Ich sitze zwar die meiste Zeit auf meinem Arbeitsstuhl, aber meine Haltung ist embryonenhafter.

Einen Text zu redigieren, gelingt in der mobilen WordPress-Seite recht gut. Einzelne Blöcke im Gutenberg-Editor verschieben? Eigentlich auch. Kompliziert wird es bei dem Versuch, Links einzufügen. Zumal ich die erst in einem anderen Browser-Tab (oder, einfacher: einem ganz anderen Browser) heraussuchen und umständlich kopieren und einfügen muss.

Telco mit Microsoft Teams: geht auch auf dem Smartphone.

Am Ende des ersten Arbeitstages habe ich aber erstaunlich viel geschafft. Ich habe einen Beitrag geschrieben, der deutlich kürzer ist als sonst, aber mir nicht weniger prägnant erscheint. Ich habe mehrere Texte redigiert, einige E-Mails geschrieben, News gelesen und mit meinem Kollegen Peter Giesecke über Microsoft Teams telefoniert. Ungewollt habe ich davor kurz unseren Social-Media-Manager in der Leitung – versehentlich hatte ich es beim ganzen Team klingeln lassen.

Als Feierabend ist, hat das iPhone immer noch 35 Prozent Akku. Ich habe genauso viel geschafft wie sonst. Ich fühle mich allerdings die ganze Zeit so, als hätte ich etwas vergessen. Nur was?

Mein Homescreen: nur mit ein paar Arbeits-Apps

Tag 2: Geht‘s auch schnell?

Am nächsten Tag dann wird es ernst. Ich muss in kurzer Zeit schnell eine Meldung schreiben und dafür andere Beiträge in WordPress umplanen. Weil ich hier jeden Beitrag von Hand abändern muss und nicht wie in der Desktop-Ansicht den Beitragskalender benutzen kann, dauert das viel länger.

Eine Schikane hält die mobile WordPress-Seite dafür parat, Links und den Textanriss einzufügen. Die Seite besteht darauf, die Tastatur eingeblendet zu lassen, während ich im Text etwas markieren möchte. Gleichzeitig scrollt die Seite nicht weit genug nach oben, so dass ich einigen Text quasi blind eingeben und bearbeiten muss.

Meine Rettung: Der mobile Browser Zoomable stellt Webseiten im Desktop-Modus dar

Einen Workaround finde ich hier einige Tage später: Zoomable, ein mobiler Browser, der Webseiten im Desktopmodus anzeigt. Hübsch ist das dann zwar nicht, aber ich kann einige Funktionen im Backend gezielter ansteuern und verändern. Kein Ersatz, aber eine hilfreiche Ergänzung.

Am Ende des zweiten Tages zieht mein linker Arm auf Höhe des Trizeps. Ich habe leider eine Vorgeschichte mit Sehnenscheidenentzündungen. Nicht dass sich da etwas anbahnt…

Tag 3: Arbeiten von überall

Am dritten Tag morgens fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Ich kann doch eigentlich überall arbeiten! Mehr noch als mit dem Notebook. Denn das ist klobiger und schwerer und eben nicht sowieso immer dabei. Das iPhone ist immer online und braucht keine feste Unterlage. Ich muss nicht einmal sitzen dabei. Mit dem Smartphone in der Hand tippe ich an meinem Text versuchsweise in der Warteschlange an der Kasse oder im Park vor der Universität.

Selfie im Park – hier hatte ich gerade ein wenig gearbeitet.

Obwohl das Smartphone durch meinen Test Freizeit- und Arbeitsgerät gleichzeitig ist, fällt es mir anfangs nicht schwerer, davon abzuschalten. Im Gegenteil. Meine Skrupel sinken, das Ding einfach mal eine Weile ganz wegzulegen und die Arbeit damit auch mental von mir zu weisen. Die verschiedenen App-Welten wirken für mich hier mehr voneinander getrennt. Es fällt mir auf dem iPhone leichter als auf dem Mac, die Arbeits-Apps nach Feierabend nicht mehr zu öffnen.

Und doch wird dieses Gefühl immer stärker. Das Gefühl abends irgendwas vergessen zu haben. Auch wenn das weiterhin nicht der Fall ist.

Tag 4: Stunden der Wahrheit

Am vierten Tag dann der Härtetest. Ich muss einen angelieferten Beitrag im WordPress umschreiben und umstellen. Aber mehrere Blöcke im Gutenberg-Editor im mobilen Browser gleichzeitig auswählen? Ich finde keine andere Lösung, als jeden Block einzeln zu verschieben. Was nicht immer gelingt. Textblöcke bleiben vor Bildern hängen. Einmal den Pfeil nicht getroffen, der einen Block verschiebt, und schon ist ein anderer ausgewählt. Irgendwann gebe ich auf und bitte den betreffenden Kollegen, den Aufbau selbst umzustellen. Weniger selbst machen, mehr delegieren – auch eine Möglichkeit der Problemlösung.

Ebenfalls am vierten Tag meldet sich mein Steuerberater – und bittet mich, Geschäftsreisen für meine Einkommensteuererklärung nachträglich in ein Fahrtenbuch einzutragen. Eine Excel-Liste. Und meine ganzen Unterlagen hat er. Während ich in einem Asia-Schnellimbiss auf mein Mittagessen warte, versuche ich mit Hilfe der mobilen Website meiner Bank über Buchungen nachzuvollziehen, wann genau ich eigentlich wo war.

Schlimmste Usability: Google Spreadsheets auf dem iPhone

Excel selbst habe ich seit zehn Jahren nicht benutzt und auch keinen Account für Microsoft 365. Ich öffne die Tabelle also im Google Drive, was mich auffordert, auch noch Google Spreadsheets herunterzuladen. Na gut.

Google Spreadsheets auf dem iPhone ist ein schlimmer Usability-Fail. Formatierungen übertragen, Formeln kopieren – nicht möglich. Aber hey: die App hat jetzt einen Dark Mode… Ich brauche geschätzt fünfmal so lange wie auf dem Desktop, alle Werte korrekt einzutragen. Die Nachbarn dürfen mich in dieser Zeit laut fluchen gehört haben. Zu guter letzt kann ich die endlich fertige Datei nicht einmal auf das iPhone herunterladen, sondern meinem Steuerberater nur per Mail weiterleiten.

Sehnsucht nach einem Notebook

Am Ende der Arbeitswoche fühle ich eine seltsame Beklemmung. Das Gefühl, nie mit allem fertig zu sein, ist am Smartphone letztlich höher als am Notebook. Ich kann nicht alles ausführen, so wie ich es möchte. Teilweise habe ich das Gefühl, nicht die Übersicht über alles zu haben. Und für manche Aufgaben brauche ich schlicht deutlich länger. Ich sehne mir mein Notebook herbei.

Gut zu wissen aber, dass vieles auch auf dem Smartphone geht – nicht mal nur im Notfall. Für mich entdeckt habe ich etwa die Apple Mail-App, die ich bis dahin tatsächlich völlig verschmäht hatte. Und ganze Texte auf dem Smartphone zu bauen, wo die meisten BesucherInnen das Trendblog ohnehin auf dem Smartphone lesen – das hätte ich schon längst mal machen sollen. Mein Blick darauf hat sich verändert.

Ich nutze auch am darauf folgenden Wochenende nur das iPhone und bin damit (samt Urlaub) letztlich drei Wochen ohne Laptop unterwegs. Als ich ihn am ersten Montagmorgen wieder aufklappe, Updates installiere und mich an die Arbeit mache, fühlt sich auch das sonderbar an. Auf dem iPhone sind einige Laufwege tatsächlich kürzer und überschaubarer. Wo ich am Ende glücklicher bin – ich kann es überhaupt nicht mehr sagen.

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