Ist doch egal, wann die Sendung beginnt – es wird mehr gestreamt

Wer bereits Netflix-Serien streamt oder den Tatort in der Mediathek anschaut, schaltet immer seltener den Fernseher ein, wenn die Sendung beginnt. Manche wundern sich einfach über die falschen Dinge.

Ist doch egal, wann die Sendung beginnt – es wird mehr gestreamt
Über 5G wird sich Netflix auch unterwegs in hoher Qualität streamen lassen (Bild: Netflix)

Der Branchenverband Bitkom hat sich mit drei neuen Erkenntnissen an die Presse gewandt:

  1. Video-Streaming ersetzt zunehmend klassisches TV (Wow)
  2. Jeder vierte Streamer könnte in Zukunft auf lineares Fernsehen verzichten (Ach, nee)
  3. Am Montag ist Welttag des Fernsehens (In China fällt ein Sack Reis um)

Die falschen Fragen gestellt

Zu diesem Anlass wurden den Nutzern von Video-Streaming auch ein paar Fragen gestellt: 25 Prozent können sich vorstellen, komplett auf das lineare TV-Programm zu verzichten (2014: 18 Prozent). 35 Prozent hat das lineare Fernsehen bereits ganz gegen Video-Streaming auf Smart-TV, Smartphone oder Tablet ausgetauscht (2014: 33 Prozent). 51 Prozent schauen weniger klassisch, seitdem sie Videos auch im Internet streamen (2014: 44 Prozent). Für junge Menschen gilt das mehr, für ältere weniger. Die repräsentative Umfrage wurde im Auftrag von Bitkom durchgeführt. Dafür wurden im Juli 1007 Personen ab 14 Jahre befragt, darunter 642 Nutzer von Video-Streaming-Diensten.

Einblick in ihr tatsächliches Sehverhalten gibt dies aber nicht. Ich habe Freunde, die mit Stolz berichten, dass sie den Tatort jetzt meist in der Mediathek anschauen. Vom Sonntagsausflug müssen sie dann nicht mehr nach Hause hetzen, sondern können noch schnell beim Italiener an der Ecke halten und sich etwas einpacken lassen. Praktisch. Mein 21-jähriger Neffe dagegen, ehrlich gesagt weiß ich es gar nicht so genau; ich vermute, er schaut regelmäßig seine YouTube-Kanäle. Namen könnte ich jetzt nicht nennen. Wer das wie Bitkom alles in einen Topf wirft, für den ist der Zug schon längst abgefahren.

Was Netflix so besonders macht

Der Verband spricht vom klassischen Fernsehen. Doch was ist das eigentlich? In meinem Leben vor der Mattscheibe wurde das klassische Fernsehen schon mehrfach abgelöst: In den 80ern trimumphierte das Privatfernsehen über die Biederkeit der Öffentlich-rechtlichen (Cin Cin), in den 90ern kam mit Premiere (heute Sky) das Pay-TV groß raus, in den Nullern YouTube und die Mediatheken. Gerade erobert Netflix den Bildschirm, aber der Erfolg dieses Streamingdienstes beruht nicht darauf, dass jetzt zeitversetzt geschaut werden kann, wie Bitkom das suggeriert, oder dass die Bilder über das Internet kommen und nicht über Satellit oder TV-Kabel.

Netflix macht es uns ganz schön bequem. Noch nie war es so einfach, so viel an einem Ort zu sehen. Oder hat jemand schon einmal eine Fernbedienung gesehen, mit der sich zwischen Netflix und Amazon Prime Video umschalten lässt? Es war auch noch nie so einfach, an einem Ort zu bleiben. Auch wenn mir persönlich einige Dinge an der Oberfläche nicht gefallen, Netflix hat die User Experience (also ob ihr euch ständig ärgern müsst oder nicht) recht gut hinbekommen. Die kürzliche Runderneuerung der ZDF-Mediathek dagegen war ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Gutes Fernsehen kostet Geld

Doch auch bei diesem Sender gibt es einen Lichtblick: Das Neo Magazin Royale mit Jan Böhmermann schauen mehr Menschen im Internet als bei der in der Programmzeitschrift angekündigten Ausstrahlung auf ZDF oder ZDF neo. Anders als bei den billigen YouTube-Kanälen wird hier aber mit Gebührengeldern finanziert, was überwiegend im Internet angeschaut wird. Und was Böhmermann abliefert, ist tatsächlich großes Fernsehen (nicht einmal inhaltlich gemeint, die Produktion übertrifft in ihrer Komplexität vieles, was sonst so zu sehen ist).

Auch Netflix und Amazon setzen immer mehr auf teure Eigenproduktionen. Und das sind dann auch die Streams, für die die Zuschauer bereit sind zu zahlen. Bibi und wie die YouTube-Stars alles heißen, mögen zwar etwas Geld aus Werbung einstreichen und dürfen vielleicht auch das Paar Schuhe behalten, das sie vor ihrer Webcam anprobieren, so reich wie Thomas Gottschalk und Stefan Raab werden sie damit aber nicht.

Zum Fernsehen gehört das Sofa

Das Blatt lässt sich hin und her wenden, Fernsehen zu schauen, bleibt immer gleich: aufs Sofa fallen lassen, Gerät einschalten und berieseln lassen. Wer am Freitagabend einen ICE besteigt, bekommt ein ähnliches Bild geboten. Zahlreiche Bahnfahrer, die den Laptop aufgeklappt und sich mit Stöpseln im Ohr zurückgelehnt haben (so gut es halt geht). Ob die Bilder von der Festplatte oder über Mobilfunk und Netflix kommt, spielt keine Rolle. Sie wollen einfach nur dem Alltag für einen Moment entfliehen.

Und wenn sie endlich zuhause angekommen sind, steht im Wohnzimmer wie eh und je der beste Bildschirm, den es gerade zu kaufen gibt, der aber über die Jahre immer größer geworden ist und mehr Pixel erhalten hat. Das nenne ich klassisch.

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