Akkulaufzeiten in der Realität: Das ist doch ein Witz!

Egal ob Notebook, Smartphone oder Forbewegungsmittel: Die Reichweite moderner Akkus erreicht nie das, was die Hersteller angeben. Das nehmen wir als gottgegeben hin. Warum eigentlich?

Akkulaufzeiten in der Realität: Das ist doch ein Witz!
Akkulaufzeit Dell XPS 13

18 Stunden, 49 Minuten. Um auch noch jeden Restzweifel auszuräumen, wirbt Dell auf der Produktseite zum Notebook XPS 13 9300 mit dieser Akkulaufzeit. Maximal natürlich, bei Produktivitäts-Apps und in der Konfiguration mit einem Intel Core i5, 8 GB und bei einem Full-HD+-Display, nicht 4K – so weit das Kleingedruckte.

Dell XPS 13 9300: Ein eigentlich tolles Notebook mit einer leider nicht so guten Akkulaufzeit.
Dell XPS 13 9300: Ein eigentlich tolles Notebook mit einer leider nicht so guten Akkulaufzeit.

Für mich war die Sache spätestens damit klar: Das würde mein nächstes Notebook werden. Denn der Rest stimmte auch, und dann noch ein starker Akku dazu – es klang alles perfekt. Ich schlug zu. Denn natürlich: Dass die Akkulaufzeiten in der Realität nie so hoch sind wie angegeben, das weiß ich auch. Aber so bei 12, 13, mindestens 10 oder 11 Stunden würde ich dann schon bei herauskommen, dachte ich mir, selbst wenn ich zu der Konfiguration mit einem Core i7 statt einem Core i5 greife.

Leider falsch gedacht.

Nach meinem Test mit dem Dell XPS 13 9300 ist nun klar: Das ist in der Realität viel, viel weniger. Nur etwa 6 Stunden unter Windows; 8 Stunden, wenn ich den Stromsparmodus den ganzen Tag über eingeschaltet lasse. Die Beurteilung, ob das nun marktübergreifend enttäuschend ist, überlasse ich euch. Auf jeden Fall ist es eins: Weit, sehr weit unter der Herstellerangabe. Ja, nicht einmal die Hälfte davon.

Bestätigung durch einen 6 Jahre alten Benchmark

Damit steht Dell natürlich nicht alleine da. Als ich kürzlich das Lenovo Yoga C940 testete, war auch hier die Akkulaufzeit weit unter der angegebenen. Bis zu 17,8 Stunden solle das Gerät mit einem Full-HD-Display maximal schaffen, immerhin noch 10,5 Stunden mit einem UHD-Display. Ich kam mit selbigem aber nur auf 5 Stunden, bestenfalls 6.

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Nur zwei Beispiele für ein marktumfassendes Unding: Denn Andere machen es genauso. Sowohl Dell als auch Lenovo geben bei der Akkulaufzeit einen MobileMark-Benchmark von 2014 an. Schon dazu schreiben sie ins Kleingedruckte, die Akkulaufzeit variiere „erheblich je nach Einstellungen, Nutzung und anderen Faktoren“. Faktoren wie völlig andere technischen Komponenten und Herausforderungen im Jahr 2020?

MobileMark-Anbieter Bapco weiß das übrigens und stellt den Support für MobileMark 2014 Ende 2020 ein. Kunden verweist der Anbieter auf den längst verfügbaren, umfassenderen MobileMark 2018. Auf den greifen Notebook-Anbieter aber offenbar nicht ganz so gerne zurück.

Auch bei E-Mobility ein weit verbreitetes Problem

Das Problem haben Notebook-Hersteller nicht exklusiv. Auch in der E-Mobility klaffen angegebene und reelle Akkulaufzeiten meist weit auseinander. Als ich kürzlich den Kumpan 1954 RI testete, fiel mir die deutlich geringere Reichweite auf. Hersteller Kumpan Electric gibt für zwei Akkus bis 120 km Reichweite an. Als ich während meines Tests von Bonn nach Köln und zurück fuhr, war der Akku so gut wie aufgebraucht. Nach nur 75 km. Besondere Steigungen gibt es auf der Strecke eigentlich nicht, allenfalls etwas Wind herrschte an dem Tag vor.

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Kumpan gab mir gegenüber zu, dass die Reichweite reell geringer und nur unter Idealbedingungen zu erreichen sei. Der Rest hänge von Fahrdauer, Beschaffenheit der Straße, Steigungen und Wind ab. Aber 120 km, das ist für einen Endanwender reell praktisch nicht zu erreichen. Damit ist der Hersteller natürlich nicht alleine. Eigentlich alle Anbieter von Elektromopeds oder E-Scootern geben eine Reichweite an, die reell deutlich niedriger ist. Wenigstens da haben die Kunden Klarheit.

Bei Automobilen hatte man sich lange Zeit schon damit abgefunden, dass eine angegebene Reichweite mit der Realität so gar nichts zu tun hatte. Das Messverfahren NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus), auf das sich die Hersteller von KFZs mit Verbrennungsmotoren seit dem Jahr 1992 stützten, war vor allem eingeführt worden, um Emissionswerte EU-weit zu vergleichen. Über die im Labor durchgeführten Tests ließ sich auch eine Reichweite ableiten, die aber die tatsächlichen Bedingungen im Straßenverkehr nicht widerspiegelten.

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Seit 2017 gibt es das verbesserte Testverfahren WLTP (Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Cycle), das die Testbedingungen verschiedener Länder, Straßenverhältnisse und Klimazonen genauer simulieren soll und damit deutlich mehr Aussagekraft hat. Gängige, energieintensive Standards wie Klimaanlagen schalten die Tester dabei nicht etwa aus, sondern an.

Das Reichweitenproblem

Trotzdem durchlaufen die Fahrzeuge die Tests auch nach WLTP nur im Labor und nur bei 14 und 23 Grad Celsius. Den nordeuropäischen Winter, der bekanntlich deutlich kühler ist und den Akku von Elektroautos stark beansprucht, bezieht der Test ebenso wenig mit ein wie die Fahreigenschaften in sehr heißen Regionen. Damit ist das Testverfahren nach WLTP zwar realistischer als NEFZ, aber eben auch nicht reell. Verbraucher müssen das in ihre Planungen mit einbeziehen.

Auf der einen Seite ist es natürlich gar nicht möglich, die Reichweite von Elektroautos oder auch die Akkulaufzeit von Notebooks für jeden Verbraucher genau zu taxieren. Woher sollen die KFZ-Hersteller etwa wissen, ob ein Kunde mit dem Auto nicht täglich nur Schotterpisten statt Autobahn und kilometerweit bergauf fährt? Und ob ein Laptop-Nutzer nicht etwa die meiste Zeit mit einer energieintensiven 3D-Model-Software arbeitet.

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Durchlaufen alle Hersteller die gleichen Tests (wie bei WLTP seit 2018), dann haben EndkundInnen wenigstens einen Anhaltspunkt. Ärgerlich wird es trotzdem dann, wenn die Hersteller, wie bei Notebooks noch aktuell, auf einen offensichtlich wenig aussagekräftigen Benchmark zurückgreifen, der so realitätsfern ist, dass er gar nichts Genaues aussagt. Dass Werbeaussagen wie „20 Stunden Akkulaufzeit“ oder mehr so krass unterboten werden, ist nicht in Ordnung, und das sollten sich Kunden auch nicht gefallen lassen.

Habe ich in dem Falle auch nicht. Der Dell XPS 13 ging zurück an den Hersteller mit genau dieser Begründung: Unzufriedenheit mit einer deutlich geringeren Akkulaufzeit als angegeben. Denn es wird Zeit, dass sich da etwas ändert.

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