Radfahren in Singapur: Urbanes Abenteuer

Der Stadtstaat Singapur setzte lange fast alleine auf ein starkes Nahverkehrssystem. Corona hat den Wunsch der Menschen nach Radsport erhöht. Das birgt so einige Gefahren.

Radfahren in Singapur: Urbanes Abenteuer

Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich halte kurz inne – was ist da los? Ich bin hier schon nicht auf dem Weg in den Raubtierkäfig, ich möchte mir nur ein Fahrrad ausleihen, um damit durch die Stadt zu fahren. Das ist Singapur aber nicht ganz ungefährlich.

Radfahren hatte natürlich auch in dem kleinen südostasiatischen Stadtstaat eine lange Tradition, ehe es eine Zeitlang größtenteils von der Bildfläche verschwand. Die Regierung investiert bis heute in ein – vorbildliches – Nahverkehrssystem aus U-Bahn und Bussen. Der Individualverkehr ist reglementiert – man sieht in Singapur weit weniger Autos und Motorräder als in benachbarten Metropolen. Singapur rühmt sich zudem mit einem mittlerweile über 300 km langen, inselweiten Radverkehrssystem:

Grafik: Nparks Singapore, Ost-West-Ausdehnung Singapurs sind etwa 50 km, Nord-Süd etwa 30 km. Einige der Strecken sind Ende 2021 noch nicht vollendet.

Die Kehrseite der Medaille ist aber, dass es Radwege entlang der Hauptverkehrsstraßen so gut wie nicht gibt. Die Gehwege sind meist völlig eingenommen von den zahlreichen Fußgängern, und die gehören laut einer britischen Studie aus dem Jahr 2007 zu den schnellsten der Welt. Wenig Platz für Radfahrer neben emsigen Fußpendlern.

Doch seit einigen Jahren ändert sich das. In Singapur duellierten sich wie in vielen anderen Städten Leihfahrrad-Systeme. Gerade die Räder des einst auch in Deutschland aktiven und mittlerweile insolventen heimischen Leihradanbieters oBike fand man auch hier oft und zahlreich im Straßengraben liegen. Dann kam Corona und mit den harten Lockdowns und der alleinigen Erlaubnis zu Sport im Freien ein Run auf Individualräder und das genannte Wander- und Radverkehrsnetz namens Park Connector Network.

Unbetretene Wege für Radfahrer

Die Herausforderung ist: erst einmal dorthin zu kommen. Auf den Radwegen des East Coast Parks nicht weit von meiner Unterkunft lässt sich dutzende Kilometer weit ungestört die halbe Insel umfahren. Bis zum Flughafen Changi im Osten und sogar noch weit darüber hinaus. Da möchte ich hin. Und wenn ich „unweit“ schreibe, dann heißt das: Ich muss etwa 3 Kilometer bis zur East Coast überbrücken. Das sollte doch zu schaffen sein?

Fußweg = Radweg? Im Prinzip ja, aber es kann immer was dazwischen kommen. Sehr oft etwa Baustellen.

Ein Leihfahrrad der Marke Anywheel habe ich unweit der Arab Street im Zentrum der Stadt schnell geortet und aktiviert. Und schon beginnt die erste Schikane: Bei laufendem Feierabendverkehr an einem U-Turn die Straße überqueren. Ich trete fest in die Pedale und komme gerade noch vor der Blechlawine in der Straßenmitte an, in der ich halbwegs geschützt bin. Erstes Hindernis lebendig überwunden.

Google Maps hat mir zwar davon abgeraten, aber das Fahrradnavi der Karten-App ist hier noch neu. Fußgänger schickt die App nämlich über die gigantische Brücke einer Umgehungsstraße im Süden. Und Bürgersteig ist hier gleich Radweg, also versuche ich mein Glück.

Und habe erst einmal den ganzen Fußweg für mich allein. Teilweise unterbrechen Treppen und Baustellenmarkierungen die steile Auffahrt. Grasbüschel auf dem Weg deuten aber an, dass ich hier so ziemlich alleine unterwegs bin und wohl auch noch eine ganze Weile sein werde. Was mich freut, denn das bedeutet: freie Fahrt. Und weil ich schon jetzt ganz schön ins Schwitzen komme, deklariere ich mich selbst als Sportler – und darf damit die hier auch draußen eigentlich obligatorische Corona-Maske ablegen.

Wenn auf einmal der Weg endet

Das Anywheel-Rad hat keine Gangschaltung, fährt sich ansonsten aber gut. Die Bremsen tun verlässlich ihren Dienst. Ich bin gerade sehr froh, nicht auf der Straße fahren zu müssen, auf der die Autos vorbeizischen.

In Singapur trauen sich einige Radler auch auf Hauptverkehrsstraßen, die Fahrbahn mit den Autos zu teilen, was teilweise lebensgefährlich ist. Von schweren Unfällen von Radfahrern liest man praktisch wöchentlich. Kürzlich geriet auch die lokal bekannte Schauspielerin Patricia Mok in einen (kleinen) Unfall mit einem anderen Radfahrer – der den Gegenverkehr nicht beachtete. Auch die Unerfahrenheit vieler neuer Radfahrer macht das Unterfangen nicht ganz ungefährlich.

Am Ende meiner Brückenfahrt endet der kombinierte Bürgersteig/Radweg dann etwas plötzlich mit einer Treppe, bevor auch die Asphaltierung ausläuft und den Besucher in einer Wiese beinahe im Nirgendwo zurücklässt. Hier kann ich nur froh sein, dass es längere Zeit nicht geregnet hat.

Ich finde einen Trampelpfad entlang einer Mauer, der vor einer Baustelle endet. Zum Glück ist das Rad nicht schwer. Ich hebe es über eine Wiese und gelange an eine Straße mit kaum betretenem Bürgersteig. Doch die Baustellen reißen nicht ab und langsam dämmert mir auch, dass ich mich auf der Brücke für die falsche Seite entschieden habe.

Immerhin habe ich auf andere Art Glück. Diesseits des Expressways ist wenig los. Ich will zu einem Einkaufszentrum in Richtung Osten und die Straßen dorthin sind schwach befahren. Mehr und mehr traue ich mich von den Fußwegen hinunter auf die Straße. Immer schön am äußersten Rand natürlich. Einmal muss ich das sogar, weil der Bürgersteig durch eine kleine Baustelle unterbrochen ist.

Städte könnten noch mehr für Radfahrer tun

Als hinter mir ein Bus auffährt, behalte ich die Nerven und fahre stoisch weiter. Mir geht erneut die Pumpe, aber klein beigeben will ich jetzt auch nicht. Und es gelingt: Der Busfahrer hat mich zum Glück gesehen und umfährt mich weiträumig. Wenig später bin ich am Ziel. Völlig verschwitzt, aber halbwegs entspannt gefahren und sicher angekommen.

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Ein paar Tage später habe ich auf der anderen Straßenseite der Brücke mehr Glück. Zwar muss ich das Rad über Treppenstufen jeweils hoch und runter tragen, aber dann bin ich auch schon am East Coast Park Connector und kann bis zum Flughafen durchfahren. Meine Mitbewohnerin empfiehlt mir noch eine weitere Strecke. Spätabends sehe ich auf den dann weniger dicht befahrenen Straßen immer mehr Kleinkolonnen emsiger Radfahrer. Oft mit Blinklichtern und lauter Musik auf sich aufmerksam machend. Es hat begonnen, und ich werde das Gefühl nicht los, dass Singapurer Radfahrer sich ihren jüngst erworbenen Platz nicht mehr streitig machen werden.

Singapur könnte noch mehr tun für seine Radfahrer. Aber gut, welche Stadt außer Kopenhagen und Amsterdam könnte das nicht? Die Frage ist allerdings auch hier: Warum ordnen eigentlich beinahe alle Städte der Welt alles dem Autoverkehr unter? Mehr Spuren für Radfahrer und dann allenfalls noch Sonderrechte für elektrische Kleinstautos – die Idee sollte kein Tabu mehr sein.

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Ein Kommentar zu “Radfahren in Singapur: Urbanes Abenteuer

  1. Wo wir gerade beim Thema Sonderrechte für Elektroautos sind: In Kopenhagen parken Elektroautos kostenlos in der gesamten Stadt an der Straße.

    Private Parkhäuser müssen natürlich trotzdem bezahlt werden.

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