Was wurde eigentlich aus Google Plus?

Es sollte größer werden als Facebook, doch dann kam alles anders. Sieben Jahre nach dem Start gibt es Google Plus immer noch. Aber warum eigentlich?

Was wurde eigentlich aus Google Plus?
Google-Plus-App

War das für ein toller Sommer damals! Nach jahrelangen Gerüchten startete Google am 28. Juni 2011 ein eigenes Social Network: Google Plus. Die Massen tobten, Social war ein großer Hype damals, Facebook hatte sich zu der Zeit schon mehrfach mit den eigenen Nutzern überworfen, Twitter war einfach nicht für jeden. Nun bekam jeder eine neue Chance auf Google Plus. Soziale Freiheit für alle! Endlich!

Heute, genau sieben Jahre später ist von dieser Euphorie kein bisschen geblieben. Google Plus ist total passé. Das Netzwerk indes – und das dürfte für manchen überraschend kommen – existiert immer noch und erhält immer wieder neue Features. Die große Frage ist: warum?

Selbst die Verantwortlichen sind kaum noch aktiv

Im Google Watchblog fand ich einen sehr aktuellen Hinweis von Anfang Juni 2018. Darin heißt es, Google Plus solle schon bald Überschriften zulassen. Das Blog, das Google im Großen und Ganzen positiv gegenüber steht, äußert sich in dem Blogpost auch verhalten optimistisch:

„[A]ls Außenstehender kann man den Eindruck bekommen, dass Google selbst das eigene Produkt nicht mehr nutzt – aber das könnte sich schon bald wieder ändern.“

Dabei war es das Google Watchblog selbst, das noch im Februar in einer Bestandsaufnahme analysiert hatte, dass selbst Google-Offizielle Google Plus seit Monaten oder gar Jahren nicht benutzt hatten.

5 Jahre Rückstand in ein paar Monaten aufholen? Das musste misslingen

Den meisten anderen Nutzern geht es nicht anders. Rufe ich heute meine Startseite auf Google Plus auf, finde ich dort nur noch automatisch einlaufende Feeds, die ich einmal von Online-Magazinen wie t3n oder Nerdcore abonniert habe. Auch unser eigener Kanal vom Euronics Trendblog läuft dort noch ein. Niemand hat ihn abgeschaltet. Genauso wie Google Plus niemand abgeschaltet hat und es dennoch mausetot wirkt.

Eine aktive Benachrichtigung noch für mein – zugegeben lange nicht mehr betreutes – Google-Plus-Profil
Eine aktive Benachrichtigung noch für mein – zugegeben lange nicht mehr betreutes – Google-Plus-Profil

Aber was ist da eigentlich passiert? Wann ist die anfängliche Euphorie der Ernüchterung gewichen und warum?

Eigentlich begannen die Probleme schon am ersten Tag. Google hatte gegenüber Facebook fünf Jahre Verspätung und wollte diese mit einer selten gesehenen Mischung aus Perfektionismus und Aggresivität möglichst schnell aufholen. Beinahe täglich gab es neue Funktionen zu bestaunen. Unter den Nutzern begann ein Wettlauf, wer, wie bei Twitter, am schnellsten die meisten Follower erreichte.

Google selbst heizte dieses Rennen noch an. Profile und Statusmeldungen von Google Plus sollten schon bald die Google-Suche bereichern und in den Suchtreffern ganz oben auftauchen. Die eigenen Profile sollten Google Plus aufwerten. Bei Online-Magazinen und Bloggern grassierte schon bald eine Art Panik, den Anschluss zu verlieren, wenn man nicht alles tat, was die Plattform von einem verlangte.

Zwangskopplung mit Google-Diensten: Den Nutzern wird’s zu bunt

Aber Google ging gar noch weiter. Nach und nach koppelte man Google Plus an jeden anderen Google-Dienst. Wer sich einen neuen Account für GMail, YouTube oder Google Drive anlegen wollte, musste sich erst einmal ein Google-Plus-Profil anlegen. Später verlangte Google auch, dass YouTube-Nutzer Videos nur noch mit ihrem Plus-Profil kommentieren konnten, was massive Proteste auslöste, dem Konzern aber nach außen hin egal schien.

Google-Plus-Startseite: Wirkt nach wie vor aktiv.
Google-Plus-Startseite: Wirkt nach wie vor aktiv.

Ähnliches mit der Einstellung des beliebten RSS-Readers Google Reader im Jahr 2013. Der Konzern wollte Google Plus als vermeintlich bessere Alternative etablieren. Es war offensichtlich, dass Google Plus mit aller Macht zum nächsten Facebook ausgebaut werden sollte.

Trotz aller Bemühungen – oder gerade wegen ihnen – reagierten die Nutzer nach und nach mit innerer Kündigung. Ihr Profil löschen konnten sie nicht, man brauchte es ja für andere Google-Dienste. Aber niemand konnte sie zwingen, die Plattform auch zu benutzen. Meldungen um die „Geisterstadt Google Plus“ galten anfangs nur als Gerüchte; später wurden sie Realität.

Der Lotse ging von Bord, warum sollten wir noch bleiben?

Der Wendepunkt kam für mich und viele andere im April 2014 mit dem Abschied des Google-Plus-Gründervaters Vic Gundotra von Google. Gundotra hatte das Social Network mit aufgebaut, es immer weiter gepusht, war nie verlegen, dessen Wichtig- und Notwendigkeit zu betonen. Er hielt vehement an dem Projekt fest, und solange er dies mit seiner durchaus charismatischen Art tat, wollte das letzte bisschen Restüberzeugung bei den Nutzern nicht weichen. Nun ging er, einfach so. Warum sollten wir da noch bleiben?

Google-Plus-Gründervater Vic Gundotra: Als er sich verabschiedete, taten die meisten Nutzer es ihm gleich.
Google-Plus-Gründervater Vic Gundotra: Als er sich verabschiedete, taten die meisten Nutzer es ihm gleich.

Auch bei Google wirkte Gundotras Abschied wie ein Wendepunkt in der Geschichte des Netzwerks. Google selbst begann nun nach und nach, zahlreiche Dienste von Google Plus wieder zu entkoppeln. Nun war sie endlich da, die Freiheit. Aber nun war es auch zu spät. Die Nutzer flohen in Massen. Auch mir reichte es jetzt.

Aus Gewohnheit postete ich weiterhin einige Beiträge dort, später nur noch sporadisch. Mein letzter eigener Beitrag ist von März 2016. Google-Mitgründer Sergey Brin, der sich selbst um die starke Verzahnung von Google Plus mit anderen Diensten bemüht hatte, hat in den letzten drei Jahren ganze zwei neue Beiträge abgesetzt. Vic Gundotra postete in den letzten zwei Jahren noch einen Beitrag. Die Gründerväter haben ihr Projekt selbst aufgegeben.

Google Plus heute: Zwischen Pinterest und Message Boards

Schaut man sich Google Plus heute an, erinnert der Dienst an die soziale Bildergalerie Pinterest. Vier Spalten zeigen durchaus interessante, neue Beiträge an. Es sieht chic aus. Ansonsten wirkt die Plattform tot. Warum hält Google auch vier Jahre nach dem faktischen Aus heute noch an ihr fest?

Tot? Nicht diese deutschsprachigen Communities mit mehreren zehntausend Nutzern.
Tot? Nicht diese deutschsprachigen Communities mit mehreren zehntausend Nutzern.

Drei Gründe könnten dafür ausschlaggebend sein. Zum ersten wird Google Plus heute tatsächlich noch von einem Millionenpublikum genutzt. Optimistische Zahlen gingen für 2017 noch von gut 25 Millionen aktiven Nutzern im Monat aus. Es sind vor allem Gruppen mit mehreren tausend Nutzern, die sich gerne über das Netzwerk austauschen, zum Beispiel Straßenfotografen. Für eine Gruppenplattform wirkt das Netzwerk in der Tat deutlich attraktiver und aufgeräumter als Facebook.

Zum zweiten könnte sich Google schlicht die Schmach ersparen wollen, das Scheitern von Google Plus offiziell einzugestehen. Den perfekten Zeitpunkt, eine Niederlage zuzugeben, gibt es nicht. Aber würde man die Plattform 2020 einstellen, wären Häme und Schmach deutlich geringer, als wenn man das schon 2015 getan hätte. Vielleicht geht es Google also schlicht darum, das Gesicht zu wahren.

Wie Phoenix aus der Asche? Im Prinzip noch möglich

Und schließlich, drittens, besteht noch die geringe Chance, Google Plus doch noch einmal von den Untoten aufzuwecken. Mit einem frischen Ansatz, mit einem neuen Community-Gedanken, mit einer sozialen Killerfunktion, den sich die Leute vielleicht genau in dem Moment gerne anschauen, in dem sie Facebook über haben. Mehrere hundert Millionen passiver Profile hat Google über die Jahre gesammelt. Ein gigantisches Potenzial, das relativ schnell reaktiviert werden kann. Vielleicht irgendwann, wenn Gras über die anfängliche Gängelung gewachsen ist.

Spannenden neuen Content entdecken? Dafür ist Google Plus immer noch gut geeignet, auch wenn die Funktion stark an Pinterest erinnert.
Spannenden neuen Content entdecken? Dafür ist Google Plus immer noch gut geeignet, auch wenn die Funktion stark an Pinterest erinnert.

Wer Google Plus nutzen will, kann das heute natürlich immer noch tun. Er kann nach wie vor schnell Gruppen erstellen und Dinge mit anderen teilen, oder sich über die durchaus hübsche Entdecken-Funktion über neue Nachrichten informieren. Oder sich einfach wundern, dass soziale Netzwerke einfach nicht abgeschaltet werden. Genau wie die immer noch existenten Ello, Diaspora und sogar StudiVZ.

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Ein Kommentar zu “Was wurde eigentlich aus Google Plus?

  1. Ich finde gooogle plus immer noch super, die App ist Wunder schön so das ich eine Beiträge die ich dort poste immer wieder gerne ansehe. Ich habe letzt eine Unternehmerin gefragt ob eigentlich Google plus kenne? Sie Nö, ich zeigte ihr das mal und wie ich diese App verwende. Sie hat sich nach meiner kleiner Demo für Google plus, sofort die App runder geladen, und weil sie auch verwenden. Ich denke die Medien schuld daran sind warum? Sie jammern mir zu sehr über Facebook, aber was ich dann komisch finde ist, das sie dann sagen, ihr findet uns auf Facebook LOL, kein Wort von Google plus. Denkt mal darüber nach

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