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Netflix

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Danke Netflix und auf Wiedersehen!

Jürgen Vielmeier war Netflix-Nutzer der ersten Stunde. Nun kehrt er dem Dienst den Rücken – allerdings nicht ohne eine verspätete Liebeserkläung.

In diesen Tagen endet mein Netflix-Abo; ich schaue noch die letzte Staffel „Haus des Geldes“ zu Ende, dann mache ich von der monatlichen Kündigungsfrist Gebrauch und lasse es einfach auslaufen.

Das wäre auch all die letzten Jahre seit dem Start des Dienstes in Deutschand im September 2014 möglich gewesen. Auf die Idee wäre ich allerdings gar nicht erst gekommen. Denn wir hatten einiges nachzuholen, der Qualitätscontent und ich. Serienstreaming, ja, Serienkoma. „House of Cards“, „Orange is the New Black“, „Fargo“ – auch ich verfiel dem schönen, neuen, diesmal über das Internet gestreamten Qualitätsfernsehen.

Die Konkurrenz hat aufgeholt

Nun ist bei mir mit Netflix erst einmal Schluss, nicht aber mit dem Qualitätscontent. Für den werde ich jetzt mal einen Monat bei Disney+ vorbeischauen, dann bei Sky Ticket haltmachen, zwischendurch bestimmt noch eine oder zwei Serien auf Apple TV+ genießen und dann auch auf Prime Video noch einiges nachholen. In dem geplanten Ausflug liegt bereits der Kern des „Problems“, wenn ihr es so nennen wollt: Hatte Netflix lange Zeit keine ernsthafte Konkurrenz, so haben die anderen Dienste mittlerweile mächtig aufgeholt.

Disney+ im Vergleich mit Netflix, Sky Ticket, Prime Video und anderen

Auf Disney+ etwa möchte ich die Star-Wars-Serie „The Mandalorian“ sehen, auf Apple TV+ fehlt mir nach der wunderbaren „Morning Show“ noch „See – im Reich der Blinden“. Auf Sky Ticket reizen mich natürlich die neuen Staffeln von „Das Boot“ und „Babylon Berlin“, ebenso wie die Dystopie „The Plot Against America“. Prime Video lockt mit dem Serienfinale von „Bosch“, neuen Staffeln von „The Expanse“. Und bei der Gelegenheit könnte ich mal „Picard“ zu Ende schauen und das mittlerweile dorthin gewanderte „The Handmaid’s Tale“ nachholen.

Die Konkurrenz hat Netflix mittlerweile also durchaus einiges entgegenzusetzen. Es ist wahrscheinlich nicht genug, um euch für Monate bei einem Dienst zu halten. Aber das muss es ja auch gar nicht. Weil eigentlich alle dieser Plattformen monatliche Laufzeiten haben und teils sogar mit Angeboten locken, könnt ihr jeden Monat woanders hin wechseln. Auch jederzeit zurück zu Netflix.

Netflix kommen die besten Inhalte abhanden

Auf Netflix selbst hat mich zuletzt immer weniger gereizt. Der letzte echte Blockbuster-Titel, der mir spontan einfiele, war „The Witcher“ um die Jahreswende. Sicher, „Haus des Geldes“ wollte ich jetzt auch noch zu Ende schauen, ebenso wie die neueste Staffel „Better Call Saul“. Eigenproduzierte Actionfilme wie „Spenser Confidential“ mit Mark Wahlberg waren ganz lustig, aber nicht der Riesenhit. Schon bei „Tiger King“, „Unorthodox“ oder „Finger weg“ hatte ich das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Was sollte es mich interessieren, wenn ein paar Schönjeföhnte keinen Sex mehr haben dürfen? Ausgerechnet in den Tagen des verordneten Zuhausebleibens schienen Netflix die guten Inhalte auszugehen.

Gute Inhalte, ja, aber wirklich die besten?

Was das für den Aktienkurs des Unternehmens langfristig bedeuet, muss man dann sehen. Ich sagte es allerdings schon früher, und ich sage es heute wieder: Ich gönne Netfix jeden Cent.

Es waren sie und ganz alleine sie, die die Fernsehlandschaft in Deutschland zum notwendigen Turnaround gezwungen, die Serien-Streaming erst wirklich möglich und komfortabel gemacht und die dafür gesorgt haben, dass die TV-Sender hierzulande ihre Mediatheken deutlich verbessert und mit Serieninhalten aufgebessert haben. Dass selbst träge Sender teils Allianzen eingegangen sind, die vorher undenkbar waren, um international konkurrenzfähige Qualitätsserien wie „Babylon Berlin“, „Das Boot“ oder „Bad Banks“ zu drehen.

Eine Lanze für Netflix

Dass das Qualitätsfernsehen beinahe jetzt schon komplett auf das Internet abgewandert ist, dass der/die NutzerIn dabei im Vordergrund steht, nicht der Sender, und dass auch Komfort dabei eine große Rolle spielt. All das geht auf Netflix‘ Konto. Widerstand gab es erstaunlich wenig, man hatte in den vergangenen fünf Jahren seit dem Netflix-Start in Deutschland sogar das Gefühl, dass der Dienst hier offene Türen einrenne.

Ein weltweites Phänomen: Netflix ist mit lokalisierten Versionen, hier in Thailand, rund um den Erdball aktiv.

Mit der Finanzierung der teuren Eigenproduktion „House of Cards“ und dem Bereitstellen der ganzen Serienstaffel auf einen Schlag bewies Netflix schon 2013 in den USA beispiellosen Mut. Etwas, was der Service in den Jahren darauf immer wiederholte und sich derweil in seinen Apps dazu innovativ und experimentierfreudig zeigte, etwa mit automatisch startenden Videos.

Nutzer folgen den Inhalten

Netflix befeuerte auch den eigenen Kult, etwa mit einem 8-bit-Spiel zur 80er-Jahre-Serie „Stranger Things“, oder unterstützte regionale Gepflogenheiten, wie mit einer eigenen Version des in Deutschland beliebten Silvestersketchs „Dinner for One“. Selbst auf Kinofilme hat Netflix eingewirkt. Dass die heutzutage nicht selten 2 Stunden und länger sind, ist bereits eine Reaktion auf die veränderten Sehgewohnheiten. Die Leute sind nun komplexere Geschichten und längere Laufzeiten gewohnt.

Netflixen, oder eher Serienstreaming, ist Alltag geworden. Bild: Netflix

Loyalität gibt es in der Wirtschaft selten. Ich bereue keinen Cent, den ich an Netflix überwiesen habe. Gäbe es nur den einen Dienst, würde ich ihn wahrscheinlich sogar, ähnlich wie ein Fitnessstudio-Abo, immer weiter laufen lassen, selbst wenn ich ihn mal ein paar Wochen gar nicht nutze. Nun aber hat Konkurrenz das Geschäft nicht belebt, sondern eigentlich eher verdorben. Gute Inhalte gibt es gefühlt nicht mehr als vor zwei Jahren, sie verteilen sich jetzt nur auf fünf und mehr Dienste.

Die Zeit, in der es Netflix und auch (mehr oder weniger) nur Netflix gab, werde ich als eine ganz besondere in Erinnerung behalten. Es war eine der Sternstunden für Film und Fernsehen. Danke dafür, Netflix! Ich bin mir sicher, wir werden uns wiedersehen.

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