Wie ist das, einen Monat lang sein Auto sein Büro zu nennen und dabei durch zehn Länder Europas zu fahren? Trendblog-Redaktionsleiter Jürgen Vielmeier kommt verändert wieder: gelassener, innovativer, fröhlicher.
Mit dem mobilen Arbeiten ist es vielleicht genau das Gleiche, wie mit dem Rauchen aufzuhören. Spätestens wenn der Arzt sagt: Es muss gehen, dann geht es auch irgendwie. Und wenn man sein heimisches Büro auf die Straße verlegt, wie ich in den vergangenen vier Wochen, dann wird es irgendwie gehen. Und es kommt unterm Stich sogar weit mehr dabei heraus, als man sich zu träumen wagte.
Jeden Tag eine neue Herausforderung
Zunächst die Fallstricke eines Mobile Office im Auto, die einen irgendwo in der Abgeschiedenheit Nordeuropas natürlich heimsuchen können:
- Ohne Zweitmonitor, 100 Mbit/s-Leitung, Maus, Schreibtischstuhl und feste Schreibtischunterlage ist man nicht genauso produktiv wie am heimischen Arbeitsplatz. Geschätzte 10 bis 20 Prozent Arbeitsgeschwindigkeit büßt man trotz guter Ersatztechnik dadurch ein.
- Die Suche nach einer stabilen Internetleitung schlaucht. Bloß weil man ein Hotel oder einen Campingplatz mit WLAN gebucht hat, heißt das noch lange nicht, dass diese guten Empfang hätten, der in jeden Winkel reicht. Sehr viel Zeit verbringt man damit, sich neu einzuwählen und oft ist man offline.
- Fährt man ins Blaue, variieren tägliche Reise- und Arbeitszeit. Man kann über die Woche hinweg die gleiche Arbeitsleistung schaffen, arbeitet aber eher „paketartig“, schafft es also etwa an einem Tag mal drei Beiträge zu schreiben, aber nicht an jedem Tag einen.
- Ein Auto heizt sich schon bei mäßiger Sonneneinstrahlung schnell auf. Es gilt also, einen Standplatz zu finden, der im Schatten liegt und gleichzeitig trotzdem gute Verbindungseigenschaften ins mobile Internet bietet.
- Nicht jeder Bürger eines Landes, das man besucht, spricht Englisch oder Deutsch, auch nicht das Servicepersonal. Man selbst spricht natürlich auch nicht alle Sprachen der Gastländer. Es kommt zu Sprachbarrieren, Unverständlichem, Missverständnissen, Hindernissen. Einheimische Gäste erhalten mehr Informationen, Insider-Tipps lassen sich in einer Sprache, die man nicht spricht, nicht weitergeben.
- Dinge können kaputt gehen, Dinge müssen organisiert oder repariert werden. Jeder Tag bietet eine neue Herausforderung. Und auch das kostet Zeit.
Alle haben mich vor den Russen gewarnt
Die genannten Nachteile lassen sich allerdings auf lange Sicht ins Positive verkehren. Und das ist das Schöne:
- Man büßt zwar Arbeitsgeschwindigkeit und auch Brutto-Arbeitszeit ein. Aber man arbeitet punktgenauer während der Arbeitsinseln, die man einlegt. Unterm Strich steht dadurch in einer Arbeitswoche das gleiche Ergebnis.
- Man lernt kreativ zu werden, was die Arbeitsorte und -zeiten angeht. Einmal schrieb ich einen Beitrag, während ich gerade im Laundromat eines schwedischen Campingplatzes auf meine Wäsche wartete.
- Man lernt, sich in Geduld zu üben. Jeweils etwa zwei Stunden dauerten in meinem Fall sowohl die Ein- als auch die Ausreise nach Russland. Hier hat man überdies vorab keine Erfahrungswerte, wie lange das letztendlich dauern wird. Als mein Wagen in Polen kurz vor der deutschen Grenze Rauchentwicklung zeigte, wartete ich am Ende fünf Stunden auf einen Abschleppwagen, nachdem es anfangs hieß, er wäre in nur einer Dreiviertelstunde da. Es sind Dinge, die sich nicht beeinflussen lassen. Man lernt hierbei Gelassenheit – aber auch Hartnäckigkeit. Hätte ich den Abschleppdienst am Telefon nicht immer wieder aufs Neue genervt, würde ich wahrscheinlich heute noch dort stehen.
- Wenn jeden Tag neue Probleme (oder, ich sage lieber: Herausforderungen) auftreten, bedeutet das auch, dass jeden Tag eine neue Herausforderung gemeistert werden muss. Es ist das Gegenteil vom heimischen Büro, wo zumindest die Technik an 29 von 30 Tagen mitspielt. Man wird hierbei zum Macher, zum Tüftler, zum Improvisationskünstler. Man überlegt nicht groß, man macht einfach und man fragt schwer beschäftigt aussehende Leute um Hilfe, weil deren Auftrag auch kaum wichtiger sein kann als der eigene. Und das macht irgendwann richtig Laune.
- Durch das Reisen kam ich zum Nachdenken. Ich habe gelernt, dass mir beim Autofahren erstaunlich originelle Einfälle für Beiträge oder Organisationsabläufe für das Trendblog kamen.
- Ich hatte Lust auf was Neues oder darauf, mal etwas Ausgefallenes zu machen. Wie: unterwegs eine Programmiersprache zu lernen. So begann ich etwa bei Codecademy einen interkativen Python-Kurs. Fertig bin ich damit noch nicht, aber nachdem ich nicht locker gelassen habe, stehe laut Fortschrittsmesser des Kurses immerhin bei 66 Prozent.
- Gerade die Momente, in denen man auf andere Menschen trifft, mit denen man sich in keiner Sprache unterhalten kann und wo man sich am Ende doch irgendwie mit Händen und Füßen verständigt, sind im Nachhinein das Salz in der Suppe einer solchen Reise. Wenn man die Sprachbarriere ein wenig mit Humor nimmt und um ein Lächeln nicht verlegen ist.
- Man lernt auch, seine Work-Life-Balance zu optimieren. Wenn man unterwegs auf Reisen ist, stellt sich die Frage „Was mache ich eigentlich heute Abend?“ so gut wie nie. Man erkundet den Ort, an dem man gerade ist, man kauft Vorräte ein und dann geht man meist auch von selbst früh schlafen, damit man am nächsten Tag halbwegs früh weiterreisen kann.
- Und nicht zuletzt baut man Ängste und Vorurteile ab. Was haben sie mich alle vor „den Russen“ gewarnt! Und was habe ich am Ende gerade in Russland für herzliche Menschen kennengelernt. Es ist schon erstaunlich, welche Bilder sich im Kopf einprägen von Orten, an denen man noch nie gewesen ist.
Nur keine Angst, das klappt schon!
In wiefern bin ich also jetzt verändert durch den Trip? Ich bin ein Stück weit aus meiner heimischen Lethargie aufgewacht. Das betrifft mich, der täglich im Home Office arbeitet, sicher noch stärker als es Menschen treffen würde, die viele andere im Büro um sich haben. Ich gehe Probleme nun direkt an und versuche auch Kleinigkeiten schnell zu lösen. Und ich habe keine Angst mehr vor Problemen, die an ungeahnter Stelle auftreten könnten. Die werden dann eben gelöst!
Von daher kann ich eine solche Reise gerade Menschen empfehlen, deren Alltag ein wenig eintönig geworden ist, die nach Veränderung suchen, die unter diffuser Angst leiden. Durch so etwas baut ihr sie ab.
Übrigens: Richtig schön war es, nach diesem Trip in ein sauberes, aufgeräumtes und schön eingerichtetes Zuhause zu kommen. Das ist genauso wichtig.
Alle Beiträge der Serie Mobile Office findet ihr hier im Trendblog.