EM ohne Fernseher: Ich riskier’s

Eigentlich der Wahnsinn: Als Fußball-Fan die EM 2021 ohne Fernseher gucken zu wollen. Trendblog-Redaktionsleiter Jürgen Vielmeier versucht es trotzdem.

EM ohne Fernseher: Ich riskier’s

„Jung! Häst do se no all?“, fragt man hier im Rheinland gerne mal, wenn der eine oder andere einen wenig geistreichen Gedanken von der Kanzel herunterpredigt. Mein Gedanke ist es, die EM 2021 ohne einen Fernseher zu überstehen. Nicht ohne die Spiele trotzdem zu schauen, wohlgemerkt, nur nicht auf einem TV-Gerät.

Live-TV ist mausetot – fast

Der Grund ist schnell erklärt: Ich habe meinen Fernseher vor geraumer Zeit abgeschafft und müsste mir jetzt einen neuen kaufen. Und nicht dass es keine tauglichen Geräte gäbe. Aber inzwischen habe ich mich darauf eingestellt, genieße es, den frei gewordenen Platz luftig leer zu lassen und vermisse auch gar nichts am Fernsehprogramm. Live-TV – was läuft da schon noch?

Na ja, eben so etwas wie Fußballspiele. Und bei einem anstehenden Turnier gleich mehrere Leckerbissen in der Woche. Nun ist es nicht so, dass ich gar kein Fernsehen mehr schauen würde. Ich tue es nur nicht am Fernseher. Mein MacBook mit M1-Chip ersetzt seit geraumer Zeit nicht nur mein TV-Gerät, ich spiele auch auf dem Mac und streame dort natürlich Serien und Filme – und lustigerweise auch Fußball.

Da habe ich in Corona-Zeiten die gute, alte ARD-Sportschau und das Aktuelle Sportstudio im ZDF wieder für mich entdeckt. Beides streame ich jeweils zur vorgeschriebenen Uhrzeit im Browser über die Livestreams von ARD und ZDF. Fernsehen ohne Fernseher – es ist möglich.

Und es hat Nachteile, die jetzt schon offenbar werden. So hängt beim ZDF-Sportstudio am Samstagabend gerne mal der Stream, und ich muss dann öfter neu laden. Und wenn das beim profanen Sportstudio schon der Fall ist, denke ich mir, wie soll das dann erst bei der EM aussehen? Denn da wird mir der eine oder andere die Bandbreite klauen, der gerade im Büro sitzt und so tun muss, als würde er arbeiten.

IPTV-Anbieter Zattoo: Fernsehen geht auch ohne Fernseher.

IPTV-Kapazitäten zur EM 2021: Das sagen die Anbieter

Haben die IPTV-Anbieter das zu erwartende Nachfrageplus auf dem Schirm? Springen sie mir zur Seite? Ich habe nachgefragt und einige interessante Antworten erhalten. Am ausführlichsten schrieb mir die Pressestelle von Zattoo:

„Wie bei allen größeren Sportereignissen rechnen wir auch bei der diesjährigen EM mit einer erhöhten Nachfrage und gehen von rund 30 bis 40 Prozent mehr Nutzern auf unserer Plattform aus. Wir besitzen genügend eigene Serverkapazitäten und kaufen ausreichend Bandbreite bei den Netzwerkbetreibern ein, um flexibel auf eine entsprechende Nachfrage reagieren zu können.“

Und das klingt doch schon einmal sehr gut. Zattoo ist vorbereitet und wird mich im Notfall nicht im Stich lassen. Streams werden hier eher nicht abreißen. Und wie sieht es bei der mittlerweile potenten Konkurrenz von Joyn aus? Hier schreibt mir die Pressestelle:

„Die Fußball Europameisterschaft ist ein Großereignis von hohem öffentlichem Interesse, daher rechnen wir mit einem deutlich erhöhtem Streaming-Aufkommen. Zusätzliche Serverkapazitäten für Großevents lassen sich dabei auch flexibel zuschalten. Für die Fußball EM werden wir diese zusätzlichen Kapazitäten bereitstellen.“

Auch die ProSiebenSat.1-Tochter klingt also gerüstet – obwohl die meisten Spiele bei ARD und ZDF laufen werden. A propos: Wie sieht es dort aus? Für die ARD schreibt mir der für die „Sportschau“ zuständige WDR etwas schmallippig zurück:

„Wir rechnen zur EURO 2020 mit einem erhöhten Streaming-Aufkommen. Bei den Vorbereitungen und den benötigten Server-Kapazitäten helfen uns die Erfahrungen aus den vergangenen Turnieren.“

Das klingt sehr diplomatisch. Der WDR hat es auf dem Schirm, das ist gut. Dass er dazu auch etwas tut, schreibt er indes nicht. Ich kann es nur hoffen.

Last but not least das ZDF, das unter anderem die Vorrundenbegegnungen der deutschen Mannschaft gegen Frankreich und Ungarn zu übertragen plant:

„Bei Fußball-Events rechnen wir immer mit höheren Zugriffszahlen und planen dafür zusätzliche Bandbreiten für die Ausspielung ein, um der größeren Nachfrage gerecht zu werden.“

ARD und ZDF zeigen die Spiele der EM 2021 – auch im Netz.

Latenzen: IPTV-Nutzer jubeln als letzte. Oder?

Aber da wäre ja noch etwas. Stabile Streams sind das eine, aber was ist mit der Verzögerung? Sicher kennt ihr das Problem, als ihr zuletzt Spiele in der Fanmeile geschaut habt. Während ihr in der Eisdiele sitzt und die Mannschaft gerade den Angriff einleitet, bricht in der Pizzeria nebenan schon Jubel aus. Ihr TV-Signal war einfach früher dran.

Mein Kollege Peter Giesecke hat zur WM 2018 für euch zusammengetragen, mit welcher TV-Übertragungstechnik ihr bei Sportereignissen als erste jubelt. So viel sei gespoilert: Der Internet-Stream war es nicht. Und um noch mehr zu verraten: Während Zattoo in Peters Test noch recht gut wegkam, lagen die Livestreams von ARD und ZDF um etwa 1 Minute (!) hinter denen von Satellit und DVB-T2.

Hat sich seitdem etwas verbessert? Auch hier die Nachfrage an die oben genannten Anbieter. Der WDR:

„Hier wird es bei den genannten Übertragungswegen die üblichen Verzögerungen geben. Auswirkungen hat auch die Bandbreite, die den Nutzer*innen zur Verfügung steht.“

Na danke, so weit war ich auch schon… Joyn ist zum Thema Verzögerung deutlich kommunikativer:

„Im Vergleich zu einer gewöhnlichen Satellitenübertragung (DVB-S2) ist die Übertragung bei Joyn circa 30 Sekunden nachgelagert. Unser Fokus liegt dabei auf einer reibungslosen Wiedergabestabilität und hoher Bildqualität, nicht auf einer möglichst niedrigen Verzögerung.“

Fair genug! Noch genauer äußert sich Zattoo:

„Durch die Weiterentwicklung unserer Streaming-Technologie in den letzten Monaten, haben wir es geschafft, TV-Streaming 10 Sekunden schneller ans Live-Signal zu bringen als bisher. Das bedeutet, dass wir aktuell nur noch eine Live-Streaming-Latenz von rund 20 bis 25 Sekunden je Sender und gewählter Plattform haben. Das gilt auch für die Nutzer unseres werbefinanzierten Free Angebots und unabhängig von der geschauten Bildqualität.“

Update, 10.5.2021: Zattoo gibt bekannt, die Latenz weiter verringert zu haben. Nun betrage die Verzögerung auf Amazon Fire TVs, Android TV und Google TV nur noch 10 Sekunden. Bis zum Start der EM 2021 will Zattoo die verkürzte Latenz auch für andere Abspielwege ermöglichen, darunter Laptops und PCs mit der progressiven Web-App.

Das ZDF reagiert mit reichlich Verzögerung auf meine Anfrage, hat dann aber Überraschendes zu vermelden (Hervorhebung von mir):

„Es gibt keine Verzögerung mehr zu anderen Ausspielwegen, das ist bereits jetzt im 24/7-Livestream des ZDF zu beobachten.“

Das klingt beinahe zu schön, um wahr zu sein. Ich hoffe, das ZDF kann hier Wort halten.

Die Frage bleibt, was nun zu tun ist. Ich kann bei einigen Anbietern also auf verstärkte Kapazitäten hoffen und habe Alternativen, sollte einer wider Erwarten doch nicht abliefern.

Zattoos größter Konkurrent heißt Joyn: Kostenloses Live-TV im Netz.

Latenz als Vorteil nutzen?

Und was die Latenz angeht: Bei früheren Turnieren habe ich sie oft als Vorteil genutzt. Bei Spielen, die mich nur am Rande interessiert haben, habe ich den Stream kurz eingeschaltet, als die Leute unten im Biergarten jubelten. Da wusste ich, ich habe noch einige Sekunden Zeit, mir das Tor anzuschauen.

Spielt Deutschland oder kommt ein nervenzerreißendes Elfmeterschießen zwischen England und Frankreich, reicht mir das natürlich nicht. Da hilft wohl nur, mich bei Freunden einzuladen, die einen Fernseher haben, zu hoffen, dass im Juni wieder Außengastronomie möglich ist. Oder ein ANC-Kopfhörer. In der Hoffnung, dass die aktive Geräuschunterdrückung zuverlässig arbeitet.

Euch, geschätzte Leserinnen/ geschätzte Leser rate ich dazu natürlich nicht. Falls ihr euer TV-Gerät nicht schon abgeschafft habt: Holt es noch einmal aus dem Speicher hervor. Ansonsten haben meine Kollegen online oder in Filialen vor Ort auch erstklassige Fernseher für euch. Nichts wäre schlimmer, als die EM zu verpassen – vorausgesetzt die deutsche Mannschaft schlägt sich diesmal etwas besser als beim letzten Mal…

Beitragsbild mit Material von Dazn/Uefa

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2 Kommentare zu “EM ohne Fernseher: Ich riskier’s

  1. Genialer Tipp! Mit ANC-Kopfhörern schauen.

    Vor Jahren hat mich das tatsächlich mal genervt, dass das Tor mehrmals bejubelt wurde und ich es mitanhören musste, weil der Sommer so unerträglich heiß war und alle Fenster offen standen.

    Die letzten Turniere haben jedoch gezeigt, dass die Sender ihre Technik im Griff haben. Die Latenzen, die beim Live-Stream im Internet sonst sehr hoch sind, waren plötzlich recht niedrig – ohne dass der Stream abriss. Ich gehe davon aus, dass dies auch bei dieser EM funktionieren wird.

    Skeptischer bin ich bei den anderen Flaschenhälsen, die eine Internetverbindung mit sich bringt. Ich nutze einen Kabelanschluss von Vodafone und kämpfe mit hohen Latenzen und wiederkehrenden Aussetzern. Das wird zur EM vermutlich nicht plötzlich behoben werden.

    Einen Fernseher habe ich vielleicht nur für ein halbes Jahr besessen. Dann gab es noch eine Zeit, in der ich einen DVB-T-Empfänger direkt an den Rechner gehängt habe. Ich habe ein, zwei Fußball-Turniere in Kneipen geschaut (Südkorea/Japan zur Mittagszeit mit jeweils einem Bier pro Halbzeit, danach zurück an den Schreibtisch).

    Ansonsten habe ich tatsächlich immer auf dem Laptop geschaut und war immer zufrieden damit.

    1. Latenzen sind mir in den meisten Spielen eigentlich egal. Aber denke ich da an das WM-Finale 2014 zurück, das wir bei mir über Kabel geschaut haben… Da ging es ja bekanntlich bei 0:0 in die Verlängerung und dort in die 2. Halbzeit, und es war klar, dass wenn jetzt ein Tor fallen würde, der Schütze auch ziemlich wahrscheinlich Weltmeister würde. Dann kam das 1:0 durch Götze in der 114… Und dann wäre es ein massiver Spoiler gewesen, wenn draußen schon alle 20 oder auch nur 5 Sekunden vor uns gejubelt hätten.

      Warten wir mal ab, wie weit et Schland diesmal überhaupt kommt, die Vorrundengruppe ist ja schon brutal und die Mannschaft war schon mal in besserer Verfassung. Aber sollte es doch wieder zu einem spannenden Finale kommen… dann schaut man ja eh lieber mit Freunden zusammen – die hoffentlich Satellit oder Kabel haben. 😉

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