Ein Nachruf auf MP3: Schlummere friedlich, Che Guevara der Musik!

Das Fraunhofer Institut, Wegbereiter des MP3-Formats, hat die Lizenzierung des revolutionären Codecs eingestellt. Zeit, sich einmal kurz daran zu erinnern, wie diese drei Buchstaben, MP3, die Musikwelt komplett auf den Kopf gestellt haben. Befreiung, sagen die einen, Enteignung, die anderen.

Ein Nachruf auf MP3: Schlummere friedlich, Che Guevara der Musik!

Denkt man an deutsche Erfindungen, die die Welt verändert haben, kommt einem das Automobil in den Sinn. Das Telefon vielleicht noch (auch wenn zuerst patentiert vom US-Amerikaner Alexander Graham Bell). Was vielleicht noch nicht jeder wusste: Auch der zweifellos revolutionäre Audiocodec MP3 ist eine deutsche Erfindung. In diesen Tagen läuft die Lizenzierung von MP3 aus. Ein Rückblick hat er aber allemal verdient.

Die Geschichte von MP3 (Moving Picture Experts Group, MPEG, Layer 3) geht bis in die frühen 1970er Jahre zurück. Professor Dieter Seitzer der Universität Erlangen-Nürnberg steht vor der Herausforderung, Töne in hoher Qualität über Telefonleitungen zu übertragen. Die Netze sollen digitalisiert werden. Als dies mit der Einführung von ISDN in den späten 1970er Jahren geschieht, können sich Seitzer und sein Forschungszweig weitergehenden Aufgaben widmen: Der Codierung von Musik. 1979 entwickelt das Team einen ersten Signalprozessor, der Audiodaten komprimiert.

Erdacht in den 1970ern, lizenziert ab 1995

Es soll allerdings noch bis 1987 dauern, bis die Uni Erlangen-Nürnberg sich mit dem Fraunhofer Institut zusammentut, um marktreife Audiocodierung für digitale Signalübertragung weiterzuentwickeln. Die kurz darauf gegründete Moving Picture Experts Group (MPEG) wählt für die Übertragung von Sprache über ISDN schließlich den Layer 3, der von dem Team stammt. Ab 1995 vermarktet Fraunhofer die Lizenzierung des MP3-Codecs. Gerätehersteller müssen für die Nutzung Lizenzgebühren zahlen, was dem deutschen Staat nach Aussagen von Fraunhofer im Jahre 2006 rund 300 Millionen Euro einbrachte und 10.000 Arbeitsplätze sichere. Ebenfalls 1995 entschied sich das Team, das Dateiformat .mp3 für MPEG-Layer 3 zu verwenden, quasi die offizielle Geburtsstunde von MP3. Eine rekonstruierte Mail aus dieser Zeit, die die Verwendung im da noch jungen World Wide Web nahelegt, zeigte praktisch schon, wohin die Reise gehen würde: Filesharing.

Bildquelle: Fraunhofer/Uni Erlangen-Nürnberg
Bildquelle: Fraunhofer/Uni Erlangen-Nürnberg

1997 ging die Seite mp3.com an den Start, damals der größte legale Musiksharing-Dienst. Bald aber schon mischten Nutzer raubkopierte Tracks darunter und mp3.com sah sich Millionenklagen der Musikindustrie ausgesetzt. Selbiges wenige Jahre später für die 1999 gestarteten Peer-to-Peer-Austauschplattform Napster – eine Spielwiese für Musikrebellen, die fröhlich CDs rippten und MP3s über das Netz tauschten. 2001 wurde der Dienst abgeschaltet – aber das illegale Raubkopieren von Songs war nicht mehr aufzuhalten. Weniger leicht greifbare Angebote wie Morpheus, KaZaA, eDonkey und BitTorrent machten das Raubkopieren und anschließende Brennen von Songs fast schon zum Volkssport. Die Musikindustrie beklagte Milliardenverluste – ein Thema, das die Erfinder von MP3 in ihrer offiziellen Geschichtsstunde gerne unerwähnt lassen.

Das Erbe der MP3 lebt weiter

Mittlerweile hat sich die Lage für die Musikindustrie wieder entspannt. Apples iTunes machte den legalen Kauf von Musikdateien über das Netz erstmals salonfähig, heute sind Streaming-Dienste (eigentlich: Monatsabos) für Musik wie Spotify, Deezer oder Apple Music das nächste große Ding. Bei Preisen um 10 Euro pro Monat für unbegrenztes Hören fast jeder Musik, die jemals komponiert wurde, lohnen sich Raubkopien kaum noch. Zufrieden ist dennoch nicht jeder damit. Künstler wie Audiophile beklagen zu geringe Tantiemen und eine Entwertung der Musik durch Streaming. Dienste wie Tidal und Voltra sind als mäßig erfolgreicher Gegentrend zu verstehen. Musikliebhaber bescheren der einst abgeschrieben Vinyl-Schallplatte ein erstaunliches Comeback.

Und MP3? Wird weiterhin auf zahlreichen Rechnern weltweit rege genutzt. Nutzer haben ganze Musiksammlungen damit angelegt und das, obwohl mit AAC heute ein besserer Codec vorhanden ist. Auch Fraunhofer rät in der Abschiedserklärung der MP3 zur Nutzung von AAC und dem kommenden Codec MPEG-H, der noch bessere Audioqualität bei gleichzeitig besserer Komprimierung bieten soll. MP3 wird da nicht mehr gebraucht – doch der Begriff wird für immer die Geschichtsbücher zieren, als die Technologie, die Musik schließlich ins Netz brachte. Und die störrische und abgehobene Musikindustrie zu Veränderungen zwang. Eine interessante Reise geht nun zu Ende. Das Erbe von MP3 wird fortbestehen – auf PCs, Smartphones und in Musikstreaming-Diensten.

Beitragsbild: Efraimstochter via Pixabay

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Ein Kommentar zu “Ein Nachruf auf MP3: Schlummere friedlich, Che Guevara der Musik!

  1. In diesem Fall hat die Lizensierung das Format nicht daran gehindert, sich durchzusetzen. In früheren Jahren gab es dann manchmal ein Plugin für die Software, das man nachträglich installieren musste. Alles kein Problem.

    Doch ist MP3 nun nicht mehr zukunftstauglich? Wer jetzt einen Streamingdienst nutzt und keine eigene Sammlung aufbaut, wird auch in zehn Jahren noch einen Streamingdienst nutzen, sprich: jeden Monat einen kleinen Betrag zahlen, dafür aber seine Musik immer in den aktuellen Formaten anhören können. Doch was mache ich mit meiner MP3-Sammlung? Kann ich die dann noch abspielen? Muss ich irgendwann in ein anderes Format konvertieren?

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