Eigentlich könnte die Spiegelreflexkamera (SLR) längst ausgedient haben. Denn spiegellose Systemkameras haben sich als technisch gleichwertig, schneller, leichter und kompakter erwiesen. Es liegt nicht zuletzt an der lange Zeit halbherzigen Zuwendung der beiden großen Kamerahersteller Nikon und Canon, dass SLRs noch immer als Nonplusultra gelten.
Nikon arbeitet an einer Vollformat-Systemkamera
Seit ein paar Monaten scheint sich das geändert zu haben. Canons Ausflüge in die Systemkamerawelt mit der EOS M5 und M10 etwa wirken zunehmend beherzter. Und jetzt plant den Aussagen eines leitenden Ingenieurs nach auch Nikon endlich eine Profi-Systemkamera ins Programm aufzunehmen. Eine neue Systemkamera von Nikon „müsse“ einen Vollformatsensor haben, sagte Entwicklungschef Tetsuro Goto in einem Interview mit Xitek.
Das wäre ein gewichtiger Schritt. Nikons aktuelle Systemkamera-Reihe Nikon 1 verwendet nur einen 1-Zoll-Sensor, der kaum größer ist als der von einfachen Urlaubskameras. Ein Vollformatsensor (auch Kleinbildsensor genannt) hätte eine etwa siebenmal so große Fläche. Vielmehr Details könnten so abgebildet werden. Nikon würde damit wirklich ernst machen mit Systemkameras. Vor allem Mitbewerber Sony ist nicht verlegen, seiner Systemkamera-Reihe Vollformatsensoren einzubauen. Sony hat sich in der Branche mittlerweile den Ruf eines Rebells erarbeitet, eines sehr erfolgreichen Rebells. Nikon und Canon müssen also reagieren.
Apple gräbt Kameraherstellern das Wasser ab
Und doch bleibt die Frage offen, ob die Hersteller nicht eine völlig falsche Klientel adressieren. Vollformatkameras gelten als „Profizeug“. Viel Geld muss dafür über die Ladetheke wandern, unter 1.500 Euro ist eine fabrikneue Vollformatkamera praktisch nicht zu bekommen. Nichts also, womit sich nach dem Denken der Kamerahersteller der kleine Gelegenheitsfotograf abgeben soll. Der kann ja genauso gut ein Smartphone nehmen. Und das tut er auch.
Etwa zeitgleich, wie ich diesen Beitrag schrieb, flatterten die ersten Testberichte des neuen iPhone 8 (Plus) herein. Besonders die Kollegen von Techcrunch haben das gut analysiert. Die Kamera im neuen iPhone 8 Plus offenbart sich dank des neuen A11-Bionic-Chips, dank eines neuen Signalprozessors, Hardware-unterstützter Rauschminderung, eines besseren Sensors und nicht zuletzt auch dank Software-Verbesserungen wie künstlicher Intelligenz in Form von Bilderkennung als ein Meilenstein. Wie Autor Matthew Panzarino schreibt, beginnt Apple nicht schlicht mit der Produktion einer neuen Kamera:
„[Apple] startet mit einer Frage. Und dann wird eine Frage wie ‚Warum kaufen Menschen weiterhin Spiegelreflexkameras?‘ beantwortet mit ‚Weil sie einen verschwommenen Hintergrund wollen, der das Motiv hervorhebt‘ und sie kommen auf Techniken wie den Porträtmodus.“
Der neue Porträtmodus im iPhone X und auch im iPhone 8 (Plus) macht eben das: Er erzeugt Effekte wie eine Spiegelreflexkamera. Und noch mehr Menschen könnte das reichen und vom Kauf einer Spiegelreflex- oder Systemkamera abhalten. Billiger als eine gute Spiegelreflexkamera sind iPhone X und 8 wahrlich nicht. Aber die Kamera ist ja nur eine von vielen geliebten Funktionen, die ein Smartphone hat.
Kleine Profikameras müssen her, Vollformatkameras billiger werden
Profis mögen lachen. Ein Vollformatsensor oder auch nur ein 1-Zoll-Sensor schlägt die Bildqualität eines Smartphone-Sensors immer noch um Längen. Aber die Smartphone-Industrie wird erfinderischer. Wo Details fehlen, wird mit Software nachgeholfen. Es hat auch im iPhone 8 nicht die Qualität einer Vollformatkamera. Aber die Abstände werden Jahr für Jahr ein Stück geringer. Und ein handliches Smartphone kann manch einem bereits als perfekte Kamera dienen.
Die wichtigsten Gründe, aus denen Menschen immer noch zu einer Spiegelreflex- oder Systemkamera greifen:
- Bildqualität: Mehr Detailtreue, natürliche Schärfe und Unschärfe
- Manuelle Belichtung, viele Einstellungsmöglichkeiten
- Optischer Zoom
- Image – mit einer SLR am Spot zu sein, macht Eindruck und sieht nach Profi aus
Die Smartphone-Industrie holt bei der Bildqualität langsam auf. Eigene Apps und Profi-Modi helfen dabei, Einstellungen manuell vorzunehmen und selbst optischen Zoom, wenn auch nur 2x, haben die ersten Smartphones mit Dualkamera. An mehr wird gearbeitet. Das Thema Image lässt sich nicht abschütteln. Als ich für einen Porträtfotokurs vor einigen Wochen mit einer kleinen Systemkamera in einem Hamburger Geschäft Fotos machte, riet mir der Inhaber, mir für solche Fotos lieber eine echte, große Spiegelreflexkamera anzuschaffen. Das sähe professioneller aus.
Die Bilder auch? Nein.
Dass Nikon auf einen Vollformatsensor und außerdem mehr auf kompakte Systemkameras setzen will, ist richtig. Mit einem 1-Zoll-Sensor wie in der Nikon 1 ist kaum etwas gewonnen – so schön die Kameras auch aussehen. Aber es sollte nicht da enden. Die Geräte müssen kleiner werden, besser ausgestattet und vernetzt. Und auch für einen Vollformatsensor sollten nicht zwingend tausende Euros verlangt werden. Sind die Sensoren wirklich so teuer? Oder macht hier vor allem Marketing den Preis?
Die Kamerahersteller sollten dem Massenmarkt Profitechnik für erschwingliches Geld anbieten. Sonst macht es Apple.
Bilder: Nikon/Apple
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Interessante Analyse. Und zutreffend, wie ich finde. Wenn ich darüber nachdenke ist auch bei mir einer der wenigen Gründe die Sony Systemkamera raus zu holen der, dass ich ordentliche Portaitfotos machen möchte, mit separatem Hintergrund. Wenn ich das Ergebnis mit meinem Smartphone auch erreiche, bleibt nur noch die bessere Optik als Kriterium für mich, weiter zur Systemkamera zu greifen. Aber das ist mir der Verzicht auf größere Mobilität selten wert.
Ich wünsche mir eine bezahlbare Kamera mit mehreren quer eingebauten sensoren die eine Bildqualität liefern wie eine hochwerige Vollformatkamera. Die Einstellungen sollten manuel möglich sein, es sollte einen eingebauten 20 bis 300 mm Zoom haben, staub und spritzwasserdicht sollte sie sein, etwa so gross wie eine Olympus Pen sein und auch ein eingebautes Navi beinhalten. So könnte ich im Auto auch als Bordkamera und Navi verwenden.
Unmöglich? Keineswegs, schon heute realisierbar, aber nicht von etablierten Kameraherstellern. Die, wollen uns immer und immer wieder mit Varianten des selben Songs zum tanzen bringen.
Ja, sehe ich auch so. Könnte man umsetzen und die Geräte könnte noch deutlich vielseitiger sein. Ein wenig steht der Wunsch nach einem großen Display konträr zum Miniaturtrend, was ein bisschen schade ist. Wären Systemkameras noch einmal deutlich kleiner als bisher und würden dabei trotzdem große Sensoren verwenden – was möglich ist – dann hätten sie gegen Smartphones noch eine gute Chance.