Huawei P10 im Test: Starkes Smartphone, dem ein passendes Betriebssystem fehlt

Das Huawei P10 ist ein Smartphone der Spitzenklasse. Bei uns im Test ließ es eigentlich kaum Wünsche offen, außer: Software, die ihm gerecht würde.

Huawei P10 im Test: Starkes Smartphone, dem ein passendes Betriebssystem fehlt
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Ich befinde mich ein derzeit ein wenig auf Kriegsfuß mit Android. Das System verblasst im Jahre 2017 gegenüber iOS. Nicht bei der Vielseitigkeit – da ist Android besser und logischer. Aber das gesamte Benutzererlebnis wirkt mir bei Android zunehmend lieblos und austauschbar. Daran ändert auch nicht, dass die Android-Geräteanbieter ihre Oberflächen anpassen können. Warum nur gibt es nur noch zwei Systeme auf dem Markt?

Das sei vorab erwähnt, denn beim Huawei P10 fiel mir dieser Nachteil besonders auf. An allen Ecken und Enden meines Tests mit dem aktuellen Spitzen-Smartphone des chinesischen Herstellers hatte ich das Gefühl, dass das Gerät so viel lieber ein iPhone 7 (Plus) geworden wäre. Allein, ihm fehlt die passende Software. Alles, von der Typografie bis hin zum Design des Emotion UI 5.1, wirkt fad und unpassend gestaltet. Selbst wenn man das Design anpasst (was man mit ein paar Knopfdrücken kann): Man wird das Gefühl nicht los, dass hier etwas fehlt. Die Software wird diesem ansonsten fast tadellosen Smartphone einfach nicht gerecht.

Das Nutzererlebnis mit Android + Emotion UI 5.1, Zwangs-Apps wie dem Aufräumer links und unschönen Designs wie den unpassend überblendeten Benachrichtigungen werden dem ansonsten tollen Huawei P10 nicht gerecht.
Das Nutzererlebnis mit Android + Emotion UI 5.1, Zwangs-Apps wie dem Aufräumer links und unschönen Designs wie den unpassend überblendeten Benachrichtigungen werden dem ansonsten tollen Huawei P10 nicht gerecht.

Und das ist schade. Denn angefangen beim handlichen, anschmiegsamen Gehäuse über die Reaktionsgeschwindigkeit bis hin zur Doppelkamera gibt es beim Huawei P10 eigentlich wenig zu meckern. Die Hardware ist Huawei fast rundum gelungen. Am getrübten Eindruck der Software wiederum ist der Hersteller nicht ganz unschuldig. So verzichtet Huawei anders als andere Android-Anbieter auf ein separates App-Menü – wie das iPhone. Einige eigene Apps werden als System-Apps markiert und lassen sich nicht deinstallieren – wie beim iPhone. Dafür wirken diese Apps wie Wetter (von AccuWeather), HiCare oder Memo allerdings leidenschaftslos gestaltet. Man fragt sich, was man damit soll und verschiebt sie in einen prall gefüllten Unterordner auf der zweiten oder dritten Bildschirmseite – wie beim iPhone.

Gehäuse und Bedienung: Kaum etwas auszusetzen

Chic, top verarbeitet und anschmiegsam: das Gehäuse des Huawei P10
Chic, top verarbeitet und anschmiegsam: das Gehäuse des Huawei P10

Dass auch das Design des Huawei P10 ein wenig an das iPhone 7 Plus erinnert – geschenkt. Denn, und das sollte man den Entwicklern drüben im gar nicht so fern wirkenden China mal stecken: Sie brauchen sich vor Apple nicht zu verstecken. Die Dualkamera, die Huawei in Zusammenarbeit mit Leica entwickelt, hatte man im P9 ja schon vor Apple. Dass man auch starke eigene Hardware-Designs kann, beweist zusätzlich das P10 Lite. Das P10 rangiert in Sachen Reaktions- und Arbeitsgeschwindigkeit im Benchmark vor den besten Geräten des vergangenen Jahres und auf Augenhöhe mit der Spitzenklasse von heute.

Geekbench-Benchmark des Huawei P10: Schlägt die Konkurrenz der Vorsaison.
Geekbench-Benchmark des Huawei P10: Schlägt die Konkurrenz der Vorsaison.

Die Verarbeitungsqualität des Gehäuses ist sehr gut. Das Huawei P10 liegt angenehm schwer in der Hand. Die Aluminium-Rückseite ist angenehm griffig und rutscht wenig. Das Display hat mich mit leuchtenden Farben beeindruckt. Die Gehäuseseite ist handlich abgeschrägt. Sehr gewöhnungsbedürftig fand ich allenfalls den kombinierten Navigationsbutton. Der ist Home-, App- und Zurücktaste in einem. In der Praxis verwählte ich mich hier oft. Die Frage ist auch, ob die leichte Aussparung für den Sensor ein Wunderwerk an Schönheit ist. Ich wette, dass Huawei den Sensor im P11 im kommenden Jahr auf einer Höhe mit dem Display belässt und diesen nicht mehr absenkt.

Warum nicht gleich auf einer Ebene? Die Aussparung für den Fingerabdrucksensor wäre so nicht nötig gewesen.
Warum nicht gleich auf einer Ebene? Die Aussparung für den Fingerabdrucksensor wäre so nicht nötig gewesen.

Und wieder: Probleme mit dem Klinkenstecker

Das Huawei P10 verfügt nur über einen Mono-Lautsprecher, dieser bietet aber einen ordentlichen Klang. Probleme bereitete mir wieder der Klinkenstecker – für dessen Abschaffung ich mittlerweile plädiere – und der mitgelieferte Kopfhörer. Auch der besitzt für einen Standard-Kopfhörer einen vorbildlichen Klang. Die innen runde Form der Ohrhörer allerdings sorgte dafür, dass zumindest der rechte Stöpsel in meinem rechten Ohr nicht lange halten wollte. Auf der zylindrischen Fernbedienung fand ich die Bedienknöpfe etwas schwer zu ertasten.

Huawei P10 und Zubehör
Huawei P10 und Zubehör

Wäre mir egal, wenn das Huawei P10 auch andere Kopfhörer in der Klinkenbuchse zuließe. Aber, wie leider auch bei vielen anderen Geräten in letzter Zeit, wollte auch das P10 meinen Alternativ-Kopfhörer nicht erkennen. In die Klinkenbuchse eingesteckt, spielte das P10 die Musik trotzdem munter über den Lautsprecher ab. Na super…

Mit einer Akkuladung kam ich gut über den Tag, viel weiter allerdings auch nicht. Schön, dass Huawei dem Gerät einen Schnelllademodus spendiert hat. Schade nur, dass der dafür vorgesehene Netzstecker ausgesprochen klobig geworden ist.

Die Kamera, die Kamera und nochmal: die Kamera

Aber, und Huawei untersteicht das schon auf der eigenen Produktseite: Das allumfassende Highlight des P10 soll das Kamerasystem sein. Die Dualkamera auf der Rückseite, eine verbesserte Selfie-Kamera auf der Vorderseite. Schauen wir uns also mal die Bilder an, die ich mit dem P10 geschossen habe. Zunächst ein paar schöne, bei Tageslicht aufgenommene Exemplare:

Frühstückszeremonie morgens. Lichteinfall von links.
Frühstückszeremonie morgens. Lichteinfall von links.
Bild an einem hellen Tag vor dem Kölner Dom aufgenommen. Die Kamera hat die Helligkeit etwas heruntergepegelt. Mir gefallen die leuchtenden Farben im Vordergrund.
Bild an einem hellen Tag vor dem Kölner Dom aufgenommen. Die Kamera hat die Helligkeit etwas heruntergepegelt. Mir gefallen die leuchtenden Farben im Vordergrund.

Und hier einige Bilder bei langsam nachlassendem Tageslicht:

Bild bei Abenddämmerung in einem Biergarten geschossen.
Bild bei Abenddämmerung in einem Biergarten geschossen.
Abendszenerie (Blue Hour) in der Bonner Innenstadt.
Abendszenerie (Blue Hour) in der Bonner Innenstadt.

Ein Vorteil der Kamera des Huawei P10 ist der Porträtmodus. Eigentlich steht der sogar gleich zweimal zur Verfügung: Das P10 erlaubt das Fotografieren mit offener Blende, was für eine angenehme Unschärfe des Hintergrund sorgen soll. Der zusätzliche Porträtmodus arbeitet ähnlich, hier soll der Tiefenschärfeeffekt aber noch größer sein. Die Vorteile zeigen sich in beiden Fällen, wenn man den Vordergrund betonen möchte:

Blumenstrauß, Hintergrund unscharf. Farben sind tatsächlich die Stärke der Kamera im Huawei P10.
Blumenstrauß, Hintergrund unscharf. Farben sind tatsächlich die Stärke der Kamera im Huawei P10.
Unser Modell steht hier im Fokus, der Hintergrund ist leicht unscharf.
Unser Modell steht hier im Fokus, der Hintergrund ist leicht unscharf.
Schön: Im P10 lässt sich der Porträtmodus auch mit dem Monochrom-Modus kombinieren.
Schön: Im P10 lässt sich der Porträtmodus auch mit dem Monochrom-Modus kombinieren.

Bei Nacht oder allgemein schwierigen Lichtverhältnissen hatte die Kamera des P10 dann allerdings auch einige Probleme. War es für das menschliche Auge noch hell genug, um zahlreiche Details zu erkennen, musste sich das P10 denn doch einige Male geschlagen geben:

Kleine Pause in einem Café im Kölner Hauptbahnhof. Beim vorherrschenden Kunstlicht wusste sich das P10 nur noch mit hohen Kontrasten zu helfen.
Kleine Pause in einem Café im Kölner Hauptbahnhof. Beim vorherrschenden Kunstlicht wusste sich das P10 nur noch mit hohen Kontrasten zu helfen.
Abenddämmerung vor dem Bonner Beethoven-Denkmal. Beim guten Ludwig van sind die konzentrierten Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen.
Abenddämmerung vor dem Bonner Beethoven-Denkmal. Beim guten Ludwig van sind die konzentrierten Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen.
Hier erkennt man den rückwärtig schwach beleuchteten Karton einer Fastfoodkette nur noch mit Mühe.
Hier erkennt man den rückwärtig schwach beleuchteten Karton einer Fastfoodkette nur noch mit Mühe.
Deutliches Bildrauschen zu erkennen.
Deutliches Bildrauschen zu erkennen.

Mit dem integrierten Dual-LED-Blitz lichtete ich nur ein einziges Motiv ab. Klar, kaum ein Frontalblitz macht jemals schöne Fotos. Hier saufen die Farben aber regelrecht ab:

Den Blitz besser auslassen. Gilt leider auch beim Huawei P10.
Den Blitz besser auslassen. Gilt leider auch beim Huawei P10.

Und die gelobte Frontkamera… Die baut für Selfies einen Unschärfeeffekt software-seitig mit ein. Das misslingt in meinen Augen aber völlig, wie euch mein traditionelles Dom-Selfie zeigt:

Foto wirkt unecht und das liegt nicht nur daran, dass der Typ auf dem Bild kaum noch Haare hat. Mein Gesicht wirkt seltsam verzogen, die Unschärfe hat hier eher den Anmut eines schlecht hineinkopierten Weichzeichners.
Foto wirkt unecht und das liegt nicht nur daran, dass der Typ auf dem Bild kaum noch Haare hat. Mein Gesicht wirkt seltsam verzogen, die Unschärfe hat hier eher den Anmut eines schlecht hineinkopierten Weichzeichners.

Zumindest einige Optionen für Profis

Schön ist zumindest, dass man viele Einstellungen der Kamera selbst vornehmen kann. Es gibt zahlreiche Modi wie HDR und Monochrom. Immerhin Verschlusszeit, ISO und Weißabgleich lassen sich frei einstellen (nicht aber die Blende) und es gibt eine etwas umständlich zu bedienende Belichtungskorrektur. Auch eine Speicherung im RAW-Format ist möglich.

Einige Motivprogramme der Kamera im Huawei P10.
Einige Motivprogramme der Kamera im Huawei P10.

Damit keine Zweifel aufkommen: Die Heckkamera im Huawei P10 ist für eine Smartphone-Kamera sehr stark und dürfte hier unter den Top-Ergebnissen rangieren. Sie zeigt nur die gleichen Probleme, die auch andere Smartphone-Kameras bei schlechten Lichtverhältnissen haben. Gerade tagsüber ließen sich mit der Kamera aber erstaunlich gute Fotos machen. An der Frontkamera sollte Huawei dafür für meinen Geschmack noch nacharbeiten. Der zerschossene Unschärfe-Effekt bringt in der Form niemandem etwas.

Vorteile des Huawei P10

  • Nahezu perfekt verarbeitetes Gehäuse, sehr gute Handlichkeit
  • Leuchtstarkes Display mit kräftigen Farben
  • Kamera-Eigenschaften gehören tagsüber zur absoluten Spitzenklasse
  • Zusätzlicher Porträtmodus und die Möglichkeit einer großen Blende, erlaubt es, Objekte freizustellen
  • Gerät meistert auch anspruchsvolle Aufgaben reaktionsschnell.

Nachteile des Huawei P10

  • Der Einer-für-alle-Button des Fingerabdrucksensors erfordert einiges an Übung und dann vertippt man sich doch immer wieder. Seine Aussparung wirkt zudem unschön.
  • Hauptkamera mit Schwächen bei schlechten Lichtverhältnissen
  • Frontkamera verzerrt Gesichter, der „künstlerische Bokeh-Modus“ zeichnet einen unnatürlich wirkenden Weichzeichner.
  • Klobiger Ladestecker
  • Klinkenstecker akzeptiert einige andere Kopfhörer nicht. Mitgelieferter Kopfhörer fällt immer wieder aus dem Ohr.
  • Typografie von Android 7 mit Emotion UI 5.1 wirkt schlecht zugeschnitten und wird der tollen Hardware nicht gerecht.

Fazit

Bis auf Kleinigkeiten habe ich wenig an der Hardware des Huawei P10 auszusetzen. Was die Software anbelangt, so habe ich noch nie einem Smartphone so sehr ein eigenes Betriebssystem vom Formate eines iOS gewünscht wie dem Huawei P10. Android wirkt hier an allen Ecken und Enden deplatziert und auch oder gerade mit dem eigenen Emotion UI 5.1 tut Huawei in der Form wenig, um das zu verbessern. Die Stars des Geräts sind das toll verarbeitete Gehäuse, das farbenfreundliche Display und die vorbildliche Dualkamera – zumindest tagsüber.

Gesamtnote Huawei P10: 8/10

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