Ich mag kaum noch hinschauen. Dass die Cologne Centurions, die ich mir als Lieblingsteam ausgesucht habe, vor einer schweren Saison stehen würden, das war mir klar. Aber dass sie nun derart untergehen würden wie in Stuttgart, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen. 54-0 der Pausenstand. Da hatten es die Centurions noch nicht ein einziges Mal über die Mittellinie geschafft. 75-7 nach dem dritten Viertel. Wer die Nerven hat, schaut sich den Horrorfilm einmal in der Zusammenfassung an:
Am Schluss nahmen die Surge dann sogar noch ein wenig den Fuß vom Gas, um es nicht dreistellig werden zu lassen: 88-7 das Endergebnis. Das Branchenportal Football Aktuell spricht von einem Vierklassenunterschied. Und das wirft eine von vielen Fragen auf. Unter anderem…
Können Football-Spiele eigentlich auch dreistellig enden?
Es fehlte nicht viel, und die Stuttgart Surge hätten gegen die Cologne Centurions noch die Hundert vollgemacht. Theoretisch ist es auch möglich, dass Football-Spiele dreistellig ausgehen. Allerdings ist es unwahrscheinlich. Weil die Nettospielzeit von 4 x 15 Minuten kaum ausreicht, um einen Touchdown nach dem anderen zu erzielen. Wie wir in unserer Football-Regelkunde neulich analysiert haben: Nach einem erfolgreichen Angriff erhält ja der Gegner zunächst wieder den Ball und darf seinerseits vier Angriffe versuchen, was entsprechend Zeit kostet.
Und tatsächlich hat es in der Geschichte der europäischen Profiliga ELF, der höchsten deutschen Spielklasse GFL und der beiden nordamerikanischen Profiligen NFL (USA) und CFL (Kanada) noch nie ein dreistelliges Ergebnis gegeben.
Was waren die höchsten bekannten Siege der Profiligen?
1940 besiegten die Chicago Bears die Washington Redskins einmal mit 73-0 – was den bislang höchsten Sieg in der US-amerikanischen Profiliga markiert. Weiter nördlich in Kanda besiegten die Montreal Alouettes die Hamilton Tiger-Cats anno 1956 einmal mit 82:14 – mit 68 Punkten Unterschied der nach wie vor höchste Sieg in der CFL.
In der deutschen Profiliga GFL hätten es die Düsseldorf Panther im Jahre 2001 fast einmal geschafft: 96-0 lautete das vernichtende Endergebnis gegen die Franken Knights.
Und schauen wir uns die Historie der ELF an, stammte vor dieser Spielzeit der bisher höchste Sieg aus dem Jahr 2023, das 73-13 der Wroclaw Panthers gegen die Prague Lions (60 Punkte Vorsprung).
Zumindest bis vor drei Wochen. Denn da waren es schon einmal die Cologne Centurions, die den „alten Rekord“ einstellten und mit 0-68 gegen die Raiders Tirol verloren.
Ein „Rekord“, der jetzt also gerade einmal drei Wochen hielt. Bis die Stuttgart Surge kamen und 88-7 gegen die Centurions gewannen – 81 Punkte Vorsprung. Und das muss noch nicht einmal das letzte Rekordergebnis dieser Saison gewesen sein…
Wie konnte es dazu kommen?
Wir haben es in einem früheren Beitrag schon analysiert: Die Cologne Centurions waren in der vergangenen Spielzeit noch halbwegs konkurrenzfähig im unteren Mittelfeld aufgehoben. Aber die zahlreichen Abgänge wirkten wohl schwerer als gedacht.
Bezeichnend, dass der hoffnungsvolle Neuerwerb, Quarterback Keegan McCormack-Reamer, wegen akuter Erfolglosigkeit diesmal gar nicht erst in der Startelf stand. Sein Backup Jan Leuker allerdings musste wegen einer Verletzung schnell wieder vom Platz. Zusammengefasst: Der Kader der Kölner ist dieses Jahr einfach zu schwach besetzt. Und dann kommt auch noch regelmäßig Pech hinzu.
Auf der anderen Seite stand wiederum auch ein wahrlich ernstzunehmender Gegner. Die Stuttgart Surge haben in dieser Saison überhaupt erst ein Spiel verloren. Und spätestens seit dem überraschend hohen 53-14 am 3. Spieltag gegen die Hamburg Sea Devils gelten die Surge als Geheimfavorit und als wahrscheinlicher Halbfinalist, wenn nicht sogar Titelkandidat. Es trafen also Welten aufeinander.
Was sagt das über die ELF aus?
Ausrutscher, Schwächephasen und vielleicht sogar Klassenunterschiede gibt es immer wieder. In diesem Jahr wirken allerdings gleich drei Teams völlig überfordert. Neben den Cologne Centurions schlittern auch die bislang sieglosen Helvetic Mercenaries und die Fehervar Enthroners von einer Schlappe zur nächsten. Ist die Liga zu unausgeglichen besetzt?
Ja und nein.
Ich halte die Entwicklung nicht für dramatisch. Eigentlich alle drei Teams, die jetzt schwächeln, waren in der Vorsaison noch im Mittelfeld zu finden. In einer noch jungen Liga, in der noch nicht die höchsten Gehälter gezahlt werden können, sind zahlreiche Spielerwechsel nicht unüblich. Das macht eine Kaderplanung schwer, und wenn dann einige hoffnungsvolle Neuverpflichtungen nicht einschlagen, kann es schnell bitter werden. So wie jetzt in Köln.
Ähnliches sieht man auch in anderen Sportarten und Ligen, etwa der Basketball-Bundesliga (BBL): Hier steht für viele Teams jedes Jahr ein kompletter Neuaufbau an, der mal gelingt und mal nicht. Und dann rangieren einige Klubs auch mal abgeschlagen am Ende, wie dort in diesem Jahr Göttingen und Frankfurt.
Und natürlich haben es die etwas größeren Teams mit höherer Aufmerksamkeit, dadurch mehr Zuschauer-Einnahmen und Attraktivität für Sponsoren leichter. Das gilt dann eher für Düsseldorf Rhein Fire, Stuttgart Surge und Frankfurt Galaxy als für die Cologne Centurions. Leider.
Aber: Die Spitze zeigt sich bisher eher ausgeglichen. Düsseldorf, Wien, Stuttgart, München, Paris, Madrid und auch noch Frankfurt: die Duelle zwischen diesen Teams enden meist knapp. Lediglich Nordic Storm scheint bisher über alle Zweifel erhaben.
Und: Das alles kann in der kommenden Saison schon wieder ganz anders aussehen.
Wie geht es jetzt weiter? Geht es weiter?
Gut. Dass die Centurions es dieses Jahr noch in die Playoffs schaffen, ist beinahe ausgeschlossen. Allerdings stehen auch in der Regular Season noch sieben Spiele an. Darunter am kommenden Wochenende ein weiterer, brutal starker Gegner: die Paris Musketeers. Wenn die Centurions nicht völlig auseinanderbrechen wollen, müssen die Verantwortlichen noch einmal über Neuverpflichtungen nachdenken. Die sind seit dieser Saison auch ohne Sperre während der laufenden Spielzeit möglich.
Was mir allerdings ein wenig Hoffnung macht: Die Freude der Centurions über den einzigen Punktgewinn nach dem 0-61, so als hätten sie gerade das Spiel gewonnen. Hier ab Minute 5:49 zu sehen. Sie mögen nicht gut sein, aber der Zusammenhalt scheint noch zu stimmen:
Stuttgart bekommt es am Wochenende erneut mit den Munich Ravens zu tun, einem ähnlich starken Gegner und einer hohen Hürde auf dem Weg zu den Play-offs. Allerdings hatten die Surge schon das Hinspiel letztlich souverän mit 36-28 gewonnen.
Wie verlief der 6. Spieltag sonst?
Die Krise ist dann wohl vorbei: Die Düsseldorf Rhein Fire haben sich neu organisiert, revanchieren sich für die Hinspielpleite und gewinnen beim Angstgegner Vienna Vikings mit 33-26. Mit plötzlich 3-2 Siegen und Platz 2 in der Northern Division sind die Rhein Fire damit wieder mittendrin im Kampf um die Play-offs.
Erster Kandidat auf den Titel wird aber immer mehr Nordic Storm. Der Neuling aus Kopenhagen ist auch von den Wroclaw Panthers nicht zu stoppen (47-19).
Die Munich Ravens holen den erwarteten Pflichtsieg gegen Berlin Thunder (35-12), ebenso wie die Raiders Tirol gegen die Helvetic Mercenaries (44-12).
Keine Chance gab es für die – letzte Woche hier porträtierten – Frankfurt Galaxy gegen die Paris Musketeers (16-35). Frankfurt muss damit die Play-off-Hoffnungen langsam begraben. Ebenso wie die Hamburg Sea Devils nach der knappen Niederlage gegen Prag (14-19).
Was erwartet uns am 7. Spieltag?
Datum | Away | Home |
---|---|---|
28.06.25 | Madrid Bravos | Hamburg Sea Devils |
28.06.25 | Wroclaw Panthers | Fehervar Enthroners |
28.06.25 | Helvetic Mercenaries | Nordic Storm |
29.06.25 | Rhein Fire | Berlin Thunder |
29.06.25 | Prague Lions | Frankfurt Galaxy |
29.06.25 | Vienna Vikings | Raiders Tirol |
29.06.25 | Paris Musketeers | Cologne Centurions |
29.06.25 | Stuttgart Surge | Munich Ravens |
Gewinnen die Stuttgart Surge auch das Rückspiel gegen die Munich Ravens, zählen sie wohl endgültig zu den Play-off-Anwärtern. Über Köln sprachen wir schon: Jede Niederlage, die niedriger ausfällt als das 7-88 der Vorwoche, wäre fast schon ein Erfolg. Und Paris wird es den Centurions nicht leichter machen als letzte Woche die Surge.
Allerdings gibt es noch einen anderen Herausforderer auf ein neues Rekordergebnis: Die bislang fehlerlosen Nordic Storm bekommen es zuhause mit den weiter überforderten Helvetic Mercenaries zu tun. Alles andere als ein sehr hoher Sieg der Storm wäre hier eine Überraschung.

Favorisiert gehen jeweils die Vienna Vikings gegen die Raiders Tirol, Rhein Fire bei Berlin Thunder und Wroclaw gegen Fehervar ins Spiel.
Ich wage mal eine Prognose und sage: Den bislang unglücklich agierenden Hamburg Sea Devils könnte vor heimischer Kulisse gegen die Madrid Bravos eine Überraschung gelingen. Das Spiel verspricht am meisten Spannung – zusammen mit dem Duell der als gleichwertig eingeschätzten Frankfurt Galaxy gegen die Prague Lions.
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